„Silence Jamal Khashoggi as soon as possible!“
Diese Worte sollen die Exekution des saudischen Dissidenten Jamal Khashoggi eingeleitet haben.
Ein Befehl von ganz oben. Eine mörderische Anordnung.
Ein Ziel: die kaltblütige Hinrichtung eines saudischen Regimekritikers. Der Tatort: Die Räumlichkeiten des saudischen Konsulats in der Türkei. Und das ganze auf Geheiß des saudischen Throninhabers, der wenige Monate zuvor noch von so manchem Nahost-Beobachter als „hoffnungsvoller Reformer“ betitelt wurde. So erzählte man, dass er das autoritär regierte Königreich modernisieren und so an die westliche Wertegemeinschaft heranführen wolle. MBS, wie er gemeinhin genannt wird, hat tatsächlich große Pläne.
Auch auf Druck des US-Präsidenten Donald Trump versucht er sich und sein saudisches Königreich neuerdings von Islamismus und Terrorismus gleichermaßen abzugrenzen, sich als Alliierter im Kampf gegen den globalen Terrorismus zu empfehlen, um dem Land einen moderneren Anstrich zu verleihen. Es sollten unüberhörbare Signale an westliche Staatsoberhäupter sein: „Wir sind Teil der Lösung – nicht Teil des Problems.“ So verlieh das saudische Königshaus erst vor einem Jahr saudischen Frauen das Recht ohne männliche Begleitung einen Führerschein zu erlangen. Für uns eine Selbstverständlichkeit, für den ultrakonservativen Gottesstaat keine Kleinigkeit.
Im November diesen Jahres wollte man zudem im Rahmen der Investment Conference 2018 das Who-is-Who des Global Business nach Riad holen, um dem Land im Zuge einer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Öffnung zu Prosperität und Liberalisierung zu verhelfen. Nur wenige Wochen vor der Eröffnung kamen die Nachrichten über Khashoggi ans Licht. Bin Salmans weiße Weste war beschmutzt, das Image des moderaten Reformers zerstört. Und viele Investoren wandten sich öffentlichkeitswirksam ab. JPMorgan, Blackrock, HSBC, Uber, Google – dies sind nur einige der Unternehmen, welche ihre Teilnahme kurzerhand absagten und ihre Geschäftsethik nicht mit brutalsten Foltermethoden in Verbindung gebracht werden möchten.
Moment: Folter, Zerstückelung, Auftragsmord?
Woher wissen wir das eigentlich?
Erdogans großer Auftritt
Wenige Tage nach dem Mord gab die türkische Tageszeitung Hürriyet bekannt, dass die Central Intelligence Agency (CIA) im Besitz eines Audiotapes sei, auf dem MBS die persönliche Anordnung, Khashoggi zu „neutralisieren“, angeordnet hätte. Und auch Recep Tayyip Erdogan ließ es sich nicht nehmen, in einer offiziellen Ansprache vor dem türkischen Parlament grausame Details über den kaltblütigen Mord zu verlautbaren – und so die zuletzt enger gewordenen US-amerikanischen Geschäftsbeziehungen mit den Saudis ins Schwanken zu bringen.
Nicht ohne Grund: Der oftmals mit der islamistischen Muslimbruderschaft in Verbindung gebrachte Khashoggi war durch seine Affinität zum politischen Islam zu einem engen Freund Erdogans geworden, wie US-Journalist David Ingatius in der Washington Post darlegte.
Niemand anderer als MBS könnte die grausamen Aktivitäten im Jemen beenden. Nun den Eindruck zu erwecken, man würde ihn austauschen wollen, bringt uns in eine schlechtere Verhandlungsposition.
David Kirsch plädiert für eine langfristige Strategie mit dem saudischen Königshaus.
Die Türkei interessiert sich noch aus einem weiteren Grund ganz besonders für Khashoggis Ableben: Wenn der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu moralinsauer verlautbaren lässt, dass „Geld (…) nicht alles (sei)“ und „wir (uns) nicht von menschlichen Werten abwenden (dürften)“, hat sich die türkische Diplomatenriege nicht zu Apologeten der Menschenrechte gewandelt. Die Türkei gefällt sich in der Rolle des humanistischen Anklägers – vor allem wenn es um die Inhaftierung von Journalisten geht. Eine Disziplin, in der es die Türkei selbst in den letzten Jahren zu internationaler Bekanntheit gebracht hat.
Zudem stört sich die immer autokratisch werdende Türkei an den dicken Schecks, die Trump MBS erst jüngst ausstellte – und blickt neidisch auf die Rüstungsexporte nach Riad und das Image des Reformers, das man einst Erdogan anheftete. Die Türkei steht, das konstatieren internationale Wirtschaftsexperten, nach den kostspieligen Interventionen im Nahen Osten kurz vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch. Türkische Lira und hochmoderne Waffen hatte man während dem syrischen Bürgerkrieg an jihadistische Terrororganisationen überwiesen und sich so viele Feinde gemacht: Unter ihnen auch Mohammad bin Salman.
Der Fall Khashoggi soll nun als Retourkutsche dienen. Durch immer weitere Enthüllungen versucht die Türkei auch innerhalb der NATO zurück in den Fokus der westlichen Öffentlichkeit zu gelangen. Sollte der Westen sich diesem Spiel annehmen und Mohammad Bin Salman fallen lassen?
Keineswegs – das sieht auch Donald Trump so. Und behält damit Recht.
Keinen falschen Tauschhandel
„The world is a very dangerous place!“, ließ Donald Trump in eine Presseaussendung anlässlich des Mordes an Khashoggi diktieren. Da ist banal – aber deshalb nicht weniger wahr. In einer schlecht eingerichteten Welt bedarf es Bündnispartner, um das Größere der beiden Übel einzudämmen. Die USA werden weiterhin – auch um im Nahen Osten handlungsfähig zu bleiben – mit Saudi-Arabien zusammenarbeiten müssen. Ja, die Verantwortlichen für den kaltblütigen Mord an Khashoggi müssen vor Gericht gestellt werden. Doch selbst wenn Mohammad Bin Salman, der Reformer und Autokrat gleichermaßen ist, vom Auftragsmord wusste oder ihn befohlen hat, so würde seine Schwächung – oder gar seine Absetzung – zu einer schlechteren Ausgangslage führen, als mit zielführenderen Maßnahmen kurz- oder langfristig erzielt werden könnte.
Unzählige Think-Tanks haben ihre Zusammenarbeit mit saudischen Universitäten vorerst eingestellt. Das ist richtig. Zahlreiche internationale Unternehmen haben sich aus Saudi-Arabien zurückgezogen. Auch das ist richtig. Doch Trump wird die Unterstützung Saudi-Arabiens noch länger benötigen – auch um die expansionistischen Pläne des Iran einzudämmen, der eine wesentliche Mitverantwortung für das Chaos im Nahen Osten trägt. Niemand anderer als MBS könnte außerdem die grausamen, saudischen Aktivitäten im Jemen beenden. Nun den Eindruck zu erwecken, man würde ihn austauschen wollen, bringt uns in eine schlechtere Verhandlungsposition.
Viele europäische Stimmen – im wenig überraschenden Einklang mit den US-Demokraten – fordern die Einhaltung und Durchsetzung von universellen Menschenrechten zum obersten Ausgangspunkt außenpolitischer Beziehungen mit nahöstlichen Staaten zu machen. Doch dies hat auch Trump‘s Vorgänger Barack Obama nicht befolgt: Den umstrittenen Deal mit dem Iran, der Millionen von Dollars in die Kassen des geistlichen Führers Ali Khamenei spülte, dessen Großayatollahs gerne Todesfatwas gegen missliebige Journalisten und Musiker ausgesprochen haben, hat er trotzdem durchgesetzt.
Ja: das Vorantreiben von Menschenrechten muss ein unabdingbarer Bestandteil außenpolitischer Invektive bleiben. Nein: auch Mohammad Bin Salman ist kein „lupenreiner Demokrat“ – wie Gerhard Schröder einst Vladimir Putin nannte. Aber er ist ein verlässlicherer Partner als der Iran, der westliche Bündnisse strategisch unterminiert und weitaus kontrollierbarer als Recep Tayyip Erdogan, der mit großem Wohlgefallen in Syrien islamistische Milizen ausrüstet, die – gleich wie die Verantwortlichen im Falle Khashoggi – Halsabschneider sind.
Viele Staaten – darunter auch Deutschland – haben ihre Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien eingestellt. Sanktionen und Gefängnisstrafen gegen mehr als 20 Verantwortliche wurden verhängt. Gut so. Die Hoffnung türkischer Spindoktoren, den frühzeitig verliehenen Heiligenschein von MBS nicht nur nachhaltig zu zerstören, sondern MBS gänzlich zu Fall zu bringen – auch um die Türkei zurück ins Spiel zu bringen – muss jedoch ein Wunschtraum bleiben.
Außenpolitik muss auf einer langfristigen Strategie aufbauen. Der Westen hat im Nahen Osten momentan nur zwei sunnitische Partner zur Auswahl:
Saudi-Arabien und die Türkei.
Wir sollten uns nicht aus schlechtem Gewissen für Letzteren entscheiden.
Bildrechte: Donald J. Trump at Marriott Marquis NYC September 7th 2016, Michael Vadon, License CC BY-SA 4.0