Es ist der siebte November des vergangenen Jahres. Kurz vor dem 80. Jahrestag der Pogromnacht in Deutschland entschuldigte sich der kanadische Premierminister Justin Trudeau im Namen seines Landes für die Abweisung jüdischer Flüchtlinge. Eine fatale Entscheidung, welche unmittelbar vor dem 2. Weltkrieg getroffen wurde. In seiner Rede vor dem Unterhaus erinnerte Trudeau an die einst restriktive Einwanderungspolitik Kanadas, welche die Frage nach der Aufnahme von jüdischen Flüchtlingen während der Nazi-Verfolgung mit „None is too many“ (zu Deutsch: Keiner ist schon zu viel) beantwortete.
Das Flüchtlingsschiff St. Louis, an dessen Bord sich 937 jüdische Passagiere aus Deutschland befanden, war am 13. Mai 1939 in Hamburg in See gestochen. Ursprüngliches Ziel war Kuba, für welches die Passagiere bereits Touristenvisa erhalten hatten. Aufgrund einer kurzfristigen Änderung des kubanischen Einwanderungsgesetzes waren diese Visa allerdings rückwirkend für ungültig erklärt worden. Nachdem das Schiff die Karibikinsel erreicht hatte, wurde somit den Passagieren die Einreise verwehrt. Auch die Möglichkeit als politisch Verfolgte Asyl zu beantragen, wurde durch die kubanischen Offiziellen verweigert. Nach fünftägigem Ausharren durften allerdings 29 Passagiere einreisen. Mit 907 Fahrgästen setzte die MS St. Louis ihre Fahrt mit Kurs Nordamerika fort. Allerdings wiesen zuerst die USA unter Präsident Roosevelt als auch Kanadas Premierminister Lyon Mackenzie King das Schiff ab, woraufhin die St. Louis nach Europa zurückkehrte.
Nachdem das Schiff am 17. Juni 1939 in Antwerpen (Belgien) vor Anker ging, setzte sich der deutsche Kapitän Gustav Schröder persönlich für die Aufnahme seiner Passagiere in andere europäische Länder ein. Auf sein Drängen hin erklärten sich die Regierungen von Großbritannien, Frankreich, Belgien und den Niederlanden bereit, Flüchtende aufzunehmen. Somit kehrte das Schiff ohne einen einzigen Passagier nach Hamburg zurück. Schätzungen gehen heutzutage davon aus, dass im Verlauf des Holocaust 254 der abgewiesenen Flüchtlinge von den Nazis ermordet wurden.
Justin Trudeau hatte eine Entschuldigung Kanadas im Mai 2018 angekündigt. Kurz vor seiner Rede im Unterhaus traf er sich mit der einzig noch lebenden Passagierin der St. Louis: Ana Maria Gordon. Vor weniger als 9 Jahren erst war Gordon nach Toronto gezogen.
Trudeaus Entschuldigung macht angesichts der größten Flüchtlingskrise seit dem 2. Weltkrieg und in Hinblick auf den auch in den USA erneut aufflammenden Antisemitismus deutlich, dass der Kampf gegen Antisemitismus und Xenophobie gleichermaßen auch heute gesellschaftliche Relevanz besitzt. Insgesamt 17 Prozent aller Hassverbrechen in Kanada richten sich gegen Juden. Der Antisemitismus sei immer noch da, so Trudeau. Der konservative Oppositionsführer Andrew Scheer äußerte, es sei wichtig aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Bemerkenswert: Pierre Elliot Trudeau, Justins Vater, lehnte während seiner Amtszeit solche offiziellen Entschuldigungen der Regierung ab. Der konservative Regierungschef Brian Mulroney bat 1988 erstmals im Namen der kanadischen Regierung um Entschuldigung. Anlass war die Internierung von 22.000 Japano-Kanadiern in British-Columbia während des 2. Weltkrieges.
Bildrechte: Der kanadische Premierminister legt einen Kranz nieder. Foto von Marvin D. Lynchard. U.S. Department of Defense. CC 2.0.