Der Nahostexperte Hussain Abdul-Hussain ist überzeugter demokratischer Stammwähler. Trotzdem war er über Elizabeth Warrens jüngst publizierte außenpolitische Visionen in „Foreign Affairs“ mehr als nur bestürzt. Als Washington Bureau Chief einer kuwaitischen Tageszeitung – und Trump-Kritiker der ersten Stunde – hält er die Senatorin aus Massachusetts als Commander-in-Chief für ungeeignet. Mit ihm haben wir über den amerikanischen Rückzug aus dem Nahen Osten und die mögliche Strategie der Demokraten bei den Präsidentschaftswahlen 2020 gesprochen.

Transatlantic Takes: Als Sie Elizabeth Warrens Artikel gelesen haben, äußerten sie sich öffentlich sehr bestürzt. Warum halten Sie ihre Positionen für kritikwürdig?
Hussein Abdul-Hussein: Ich schätze Warren‘s Haltung in vielerlei Hinsicht: Innenpolitisch, vor allem im Bezug auf Konsumentenschutz und Bankenregulierung. Was sie allerdings in ihrem Artikel in „Foreign Affairs“ fabrizierte, zeigt lediglich, dass sie über Dinge spricht, mit denen sie sich bisher nicht besonders beschäftigt hat.
Bis zum Irak-Krieg 2001 war Außenpolitik stets ein überparteilich, sachlich diskutiertes Thema in den USA. Nachdem sich die Lage rund um das Jahr 2006 zum Schlechten gewandelt hatte, wurde Außenpolitik zu einem innenpolitisch umkämpften Schauplatz. Sich für oder gegen diesen Krieg zu positionieren, sollte sich von nun an entscheidend auf die Chancen für eine erfolgreiche Kandidatur zur US-Präsidentschaft auswirken. Und das obwohl die meisten Umfragen angeben, dass weniger als 4% der US-Bevölkerung sich tatsächlich für Außenpolitik interessieren – darunter fallen auch Politiker wie der frühere US-Präsident Barack Obama wie auch viele seiner Mitarbeiter. Vielleicht sogar die meisten demokratischen Politiker. Nicht erst seit Donald Trump ist die US-Außenpolitik in schlechten Händen. Die tiefe Ignoranz gegenüber außenpolitischen Themen nimmt stetig zu: Ich bezweifle stark, dass US-Präsident Donald Trump Syrien auf einer Landkarte einzeichnen könnte. Einmal hatte ich CNN eingeschaltet, als Don Lemon Fareed Zakaria zu Syrien interviewte. Zu dieser Zeit argumentierte Zakaria dagegen, syrische Oppositionelle auszurüsten – mit der dubiosen Begründung, dass Syrien keinen Zugang zum Meer hätte. Don Lemon widersprach ihm nicht.
TT: Dieses außenpolitische Desinteresse sehen Sie auch im Bezug auf Warrens außenpolitische Visionen?
HAH: Nicht, dass Sie mich falsch verstehen. Ich bin ein life-long democrat. Warren jedoch scheint in ihrer bisherigen Arbeit im Foreign Relations Committee zumeist nur dem früheren Majority Leader Harry Read gefolgt zu sein, ohne sich selbst eine Meinung zu bilden. Sie hat vermutlich einige außenpolitischen Geschehnisse in Google eingegeben und glaubt seitdem, dass Außenpolitik mit dem Irak-Krieg begonnen hat. Das führt dann zu folgenden Sätzen: „The invasion of Iraq destabilized and fragmented the Middle East, creating enormous suffering and precipitating the deaths of hundreds of thousands of people.“
Die Idee, dass der Nahe Osten ein harmonisches Plätzchen gewesen ist, bevor die US-Army Saddam Hussein gestürzt hat, ist wirklich ein bescheuerter Ansatz – formuliert von denkfaulen Persönlichkeiten. Mir fallen viele Gegenbeispiele ein: Die Arabisch-Israelischen Kriege 1967 und 1973, der libanesische Bürgerkrieg von 1975 bis 1990, der Irak-Iran-Krieg von 1980 bis 1988, die irakische Invasion in Kuwait 1990, die palästinensischen Aufstände 1988 und 2000, der türkische Krieg gegen die Kurden in den 1980ern und 1990ern. All diese Kriege fanden vor der US-Invasion im Irak statt. Leider hat keiner ihrer Berater ihr das mitgeteilt.
TT: Aber könnte Warren mit der unter Demokraten weit geteilten Ansicht, dass die US-Invasion im Irak der Türöffner zur Hölle war, nicht möglicherweise sogar punkten?
HAH: Es ist letztlich eine falsche Geschichtsschreibung, welche die zukünftige Problemlösung erschweren wird. Sehen Sie sich nur frühere Reden von Barack Obama an. Auch er brüstete sich mit seinen angeblichen Erfolgen im Nahen Osten: „Al Qaeda ist auf der Flucht, der Irak ist stabilisiert, wir haben den Krieg gegen den Terror gewonnen.“
Die darauffolgenden acht Jahre Jahre sollten dieser Ahnungslosigkeit eine ernsthafte Lektion erteilen. Der Grund, warum falsche Ansichten unter den demokratischen Eliten dennoch bis heute so weit verbreitet sind, liegt auch am Einfluss bestimmter hochrangiger Universitätsprofessoren. Intellektuelle wie Rashid Khalidi, ein einflussreicher Nahostwissenschaftler an der Columbia University und zugleich enger Vertrauter von Barack Obama, hatten diese Fantasie, dass das Osmanische Reich ein harmonisches Staatsgebilde gewesen sei – bis Napoleon auftauchte. Andere sagen wiederum, dass der Kolonialismus das Osmanische Reich zerstört hätte. Diese Ansichten sind völlig irre. Es gab nie eine Periode im Nahen Osten, welche friedlich gewesen ist. Ich habe eigentlich stets demokratisch gewählt, auch wenn ich in außenpolitischen Ansichten oftmals eher wie ein Republikaner ticke. Warren könnte ich jedenfalls nicht wählen. Solange ein Trump die GOP anführt, kann ich die aber auch nicht wählen.
TT: Elizabeth Warren schreibt, dass sie eine Außenpolitik anstrebt, die sowohl den Interessen der Unterschicht als auch denen der Mittelschicht dient. Wäre das nicht erstrebenswert?
HAH: Sie vermischt ihre Position zu Freihandel mit außenpolitischen Überlegungen. In der Theorie führt Freihandel zu einer Verringerung von zwischenstaatlichen Kriegen: Wer miteinander Geschäfte macht, möchte den daraus erwachsenen Profit nicht durch Krieg gefährden. Die Alternative zum Freihandel ist die Stärkung nationaler Ökonomien. So würde zum Beispiel die Schließung der Grenzen zu einer verstärkten Konkurrenz der Weltmächte, also zu einer Situation, welche derer vor dem ersten Weltkrieg ähnelt, führen. Und somit weltweitem Frieden entgegenwirken. Wenn wir auf die letzten hundert Jahre zurückblicken, gab es vor allem eine relativ stabile Periode: Vom Ende des Kalten Krieges bis zum War on Terror, also die Zeit ökonomischer Expansion. Was Warren hingegen möchte, kennen wir bereits von Bernie Sanders: Klassischer Protektionismus. Sozialisten wie Sanders analysieren Konflikte stets nur im Bezug auf die Klassenfrage anstelle von Ethnien oder Nationalitäten. Das Paradoxe ist jedoch: Während sich Sanders während des Wahlkampfes in ein sozialistisches Mäntelchen hüllte, gab er jedoch zugleich an, amerikanische Arbeitsplätze vor dem Zugriff von vietnamesischen Gastarbeitern beschützen zu wollen. Das ist eigentlich zutiefst unsozialistisch. Es heißt ja auch nicht, „Workers of the US, Unite!“, sondern „Workers of the World, Unite!“. Sozialisten sind ihrer eigenen Logik folgend Internationalisten, also gegen staatliche Grenzen. Wie schon Sanders verkennt auch Warren in ihrem Artikel die Notwendigkeit, dass derjenige, der Protektionismus fordert, auch eine stärkere Armee fordern muss, um das nationale Konkurrenzdenken notfalls auch militärisch durchsetzen zu können. Das Öl in Saudi-Arabien ist zu teuer? Dann müssen wir das Königreich eben wieder militärisch besetzen, damit die Arbeiter ihre Autos betanken können. Weil das bei den demokratischen Wählern allerdings nicht besonders gut ankommen würde, verschweigt sie das lieber. Ihr Artikel ist hingegen voll von Feel-Good-Ideas, die im Gesamtkonzept nur wenig Sinn ergeben.
TT: Könnte es also Elizabeth Warrens Strategie sein, frühere Bernie Sanders-Wähler für sich zu gewinnen? Und könnte das erfolgreich sein?
HAH: Momentan sind nicht nur Warrens außenpolitischen Pläne widersprüchlich, sondern eigentlich die Politik des gesamten Landes. Wenn die Demokraten die Partei der Gewerkschaften sind, dann müssen sie illegale Einwanderung stoppen. Wenn die Republikaner die Partei des globalen Kapitalismus sind, müssten sie für illegale Einwanderung und offene Grenzen plädieren. Momentan passiert das Gegenteil: Gewerkschaften setzen sich für illegale Einwanderung ein, die Kapitalisten der GOP wollen billige Arbeitskräfte fern halten. Interessanterweise war Warren zwischen 1991 und 1996 als Republikanerin eingetragen. Vielleicht ist sie heute eine demokratische Republikanerin.
US-Politik heute ist jedoch von Stammeszugehörigkeit und ethnischer Identitätspolitik geprägt: Bist du weiß, musst du das wiederholen, was Weiße sagen. Bist du nicht-weiß musst du das wiederholen, was Nicht-Weiße sagen. Ganz unabhängig davon, ob du Teil der Mittelklasse oder Casino-Kapitalist bist. Ich glaube nicht, dass Warren mit Klassenkampf-Rhetorik punkten könnte. Wenn sie schreibt, dass die globale Finanzelite den Mittelstand betrügt, behauptet sie die Unwahrheit. Sehen sie sich nur republikanische Milliardäre und demokratische Milliardäre an: Sie sprechen noch nicht einmal dieselbe Sprache! Was früher Klassenkampf war, ist heute der Kampf zwischen ethnischen oder anderen sozialen Identitäten.
TT: Wie sieht es auf dem Schlachtfeld Frauen gegen Männer aus? Könnte Warren als ausgewiesene Feministin besonders bei Frauen punkten?
HAH: Zu einem gewissen Punkt bestimmt. Die Mehrheit der Frauen wählt demokratisch, auch wenn ein überraschend großer Teil der Frauen zuletzt Trump gewählt hat. Auch jüngere Menschen wählen öfter demokratisch. Dies wird langfristig zur bereits jetzt befürchteten Schrumpfung der Republikaner beitragen und den Zuwachs an Populismus weiter befördern. Populismus kann Identitätskollektive durchwandern: Er kommt bei Männern, Frauen, Weißen oder Nicht-Weißen an. Beide Parteien werden bei der nächsten Wahlen starken Gebrauch davon machen.
TT: Warren erwähnt in ihrem Artikel einige Punkte, die auch von Trump stammen könnten. So benennt sie das „rigged system“, gegen das Trump auch antrat, während sie ihm jedoch unterstellt, von diesem System, welches „in favor of his family and his wealthy friends“ manipuliert sei, zu profitieren. Wie schon Trump ist sie gegen das nordatlantische Freihandelsabkommen NAFTA und scheint seinen Handelskrieg mit China zu befürworten. Wird sie 2020 versuchen Trump mit seinen eigenen Waffen zu schlagen?
HAH: Bereits bei der letzten Wahl konnte man mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede zwischen Bernie Sanders und Donald Trump finden: Innenpolitisch, Wirtschaftspolitisch, als auch Außenpolitisch. Erinnern sie sich an das Trans-Pacific Partnership-Agreement (TPP): Der einzige Grund, warum es vor der US-Präsidentschaftswahl 2016 nicht mehr unterzeichnet wurde, ist dass niemand – weder Demokraten, noch Republikaner – kurz vor den Wahlen als derjenige gelten wollte, der für den Ausverkauf der amerikanischen Arbeiter verantwortlich wäre.
TT: Was würde Warrens Politik in puncto NATO oder bezüglich dem Iran-Deal für Europa bedeuten? Wie sehen diesbezüglich ihre Positionen aus?
HAH: Kein demokratischer Kandidat wird jemals wieder so zärtlich gegenüber dem Iran vorgehen wie Barack Obama. Gleichzeitig wäre Warren aber auch nicht so „hawkish“ wie ein durchschnittlicher republikanischer Präsident. Der Unterschied zwischen Trump und Warren: Erster sieht sich als Showmaster, als Entertainer und liebt es, richtig viel Porzellan kaputt zu machen. Warren wäre in Hinsicht auf den Iran-Deal weitaus vorsichtiger und würde ihn wohl beibehalten wollen. Der Fehler mancher Europäer ist es zu denken, dass bloß Trump auf die Erfüllung des 2%-Ziels besteht. Das haben andere US-Präsidenten schon lange vor Trump getan und auch Warren würde diesen Punkt deutlich klarstellen. Wenn auch ohne angsteinflößende Ankündigungen, sich einseitig aus der NATO zurückzuziehen.
TT: Wenn Elizabeth Warren 2020 die demokratische Nominierung für sich entscheiden kann und gegen Donald Trump als republikanischen Kandidaten antritt: Wird es dann eine dritte Partei für konservative Demokraten oder liberale Republikaner wie Sie geben?
HAH: Nach der Wahl von Obama spalteten sich erst die Republikaner durch das Erstarken der Tea-Party Bewegung. Nach der Wahl von Trump spalten sich nun die Demokraten durch das Erstarken linker identitätspolitischer Konzepte innerhalb der Partei. Was der GOP geschah und sie zwang nach rechts zu rücken, geschieht nun den Demokraten. Seit der Wahl von Trump gewinnen die Kräfte in den Demokraten an Zuwachs, die weit links stehen und sich „Progressiv“ nennen. Im Gegensatz zu gemäßigten Democraten wie Nancy Pelosi geben sich die frisch in das Repräsentantenhaus gewählten Demokratinnen wie Alexandria Ocasio-Cortez und Ilhan Omar als „progressiv“. Wenn ein anderer möglicher demokratische Nominee, der frühere Vizepräsident und Moderate Joe Biden, antritt, wird es nicht viel Platz für eine dritte Partei geben. Die Frage wird dann allerdings sein, ob Biden tatsächlich progressive Stimmen hinter sich sammeln werden kann. Die USA ist ein großes Land. Wenn du nur den liberalen, progressiven Nordosten hinter dir versammeln kannst, reicht das nicht für einen Wahlsieg, da dich die moderateren Demokraten aus dem Südwesten nicht unterstützen werden.
TT: Zum Abschluss die 1-Million-Dollar-Frage. Kürzlich schrieb David Graham im Atlantic folgendes: „The Republican Party just suffered big losses in the House of Representatives, but the president is getting ready to ramp up his campaign—and he’s got a good shot at reelection.“ Wird es für Trump 2020 „four more years“ geben?
HAH: Bis zum heutigen Tage wird immer noch viel über den Einfluss Russlands auf die Präsidentschaftswahlen 2020 diskutiert. Trumps Chancen auf die Wiederwahl sind davon gänzlich unabhängig zu betrachten. In der US-Politik war es immer schon schwer, den amtierenden US-Präsidenten zu besiegen. Alleine wegen dem Wiedererkennungswert des Namen „Trump“. Ein Punkt wird besonders entscheidend sein. Die amerikanische Wirtschaft wird nicht ewig weiter wachsen, so wie sie es jetzt tut. Sollte es vor der Wahl zu einer Rezession kommen, werden die Chancen der Demokraten steigen. Wenn es der US-amerikanischen Ökonomie weiterhin gut gehen wird, dann bekommen wir weitere vier Jahre Trump. Sollte das Duell dann „Joe Biden vs. Donald Trump“ heißen, könnte es für Trump schwer werden. Viele mögen denken, dass Bidens Image aufgrund seines Wirkens in der Obama-Administration beschädigt sein könnte. George W. Bush hatte gegen Ende seiner Amtszeit eine Zustimmungsrate von weniger als 18%. Heute vermissen ihn manche – trotz seiner Fehler im Irak.
Wenn die demokratische Herausforderin jedoch „Elizabeth Warren“ heißen sollte, wird Trump auch der 46. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika werden.
Titelbild: Elizabeth Warren machte 2016 Wahlkampf für Hillary Clinton. Tim Pierce. CC 2.0.
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