Transatlantic Takes lebt von offenen Debatten. Deshalb stellen wir euch in dieser zweiteiligen Artikelserie konträre Positionen zum Iran-Deal vor.
Im ersten Artikel kritisieren Nur Baysal und Moritz Asbrand den US-amerikanischen Rückzug aus dem Iran-Deal. Dieser hätte auch dem europäischen Verhältnis zum Iran geschadet. Die Isolation des Iran müsse daher ein baldiges Ende haben.
In einer Gegenrede wird Arian Aghashahi Verständnis für die Entscheidung der USA fordern. Er begrüßt die einseitige Aufkündigung des JCPOA und spricht sich für eine realistischere Nahostpolitik aus.
Der Joint Comprehensive Action Plan (JCPOA) ist ein Abkommen zwischen dem Iran, der EU, Russland, China und den USA. Er sieht eine Beschränkung des iranischen Atomprogramms und eine Kontrolle dessen durch die internationale Atombehörde (IAEA) vor. Im Gegenzug sollten die Sanktionen, die wegen des iranischen Atomprogramms verhängt wurden, abgebaut werden. Am 08. Mai 2018 verkündete Präsident Donald Trump den Ausstieg der USA aus dem JCPOA.
Natürlich hat jeder US-Präsident das Recht, Abkommen seines Vorgängers aufzukündigen. Und doch birgt es gewisse Risiken. Die Laufzeiten von internationalen Abkommen übersteigen nicht selten die Dauer von einer oder gar mehreren Amtszeiten von Staats- oder Regierungschefs. Würde jeder POTUS oder jeder Politiker in einem vergleichbaren Amt internationale Abkommen von Vorgängern aufkündigen, welches nicht zu 100 Prozent in seine politische Agenda passt, würde das eine extreme Unsicherheit auf dem diplomatischen Parkett verursachen und langfristige internationale Abkommen nahezu unmöglich machen.
Destruktiver Alleingang und Entfremdung von Verbündeten
Der immense Druck, den die USA auf Firmen außerhalb der USA aufgebaut haben, um die Isolation des Irans vorantreiben zu können, hat zu Irritationen geführt und das Verhältnis zwischen den USA und ihren Partnern verschlechtert. Ein in der Iran-Frage entzweiter Westen bringt nicht nur weitere Unsicherheit in eine bereits volatile Region, er untergräbt auch die Stabilität der gesamten Weltordnung. Der Ausstieg aus dem JCPOA ist nur ein weiterer, großer Schritt in der Entfremdung zwischen den USA und ihren Partnern seit dem Amtsantritt von Präsident Trump.
Nicht nur ist die Aufkündigung des Abkommens ein Fehler. Ebenso ist auch die fehlende Absprache mit den westlichen Partnern mehr als nur Besorgnis erregend. Mehr noch: Die USA bauen weiteren Druck auf die europäischen Partner auf, es ihnen gleich zu tun.
So sagte der US-Botschafter in Deutschland, Richard Grenell:
“Wer mit dem Iran Handel treibt, unterstützt Terrorismus.”
Doch wenn es tatsächlich um Terrorismus ginge, müsste man vielmehr einen anderen Staat sanktionieren: Saudi-Arabien.
Diese Behauptung verwundert vielleicht einige. Aus neokonservativen Kreisen hört man oft das Mantra, dass der Iran der Hauptsponsor des weltweiten Terrorismus sei. Doch das ist falsch. Die größte Unterstützung des islamischen Terrorismus stammt aus Saudi-Arabien. Der Wahhabismus, entstanden in Saudi-Arabien, dient als ideologischer Nährboden für den Großteil des islamischen Extremismus.
Wahhabismus: Die “reine” Lehre des Islam
Der Wahhabismus ist eine Ideologie, die man sich als politische Umsetzung des Salafismus vorstellen kann: Der Islam soll besonders rigide und ohne historisch und gesellschaftlich bedingte Änderungen praktiziert werden. Anders als der Salafismus ist der Wahabismus abhängig vom Haus Saud, während Salafisten global agieren. Diese Abhängigkeit lässt sich auf ein Übereinkommen im 18. Jahrhundert zwischen dem Begründer der Saud-Dynastie und dem Prediger Mohammad ibn Abd al-Wahhab zurückführen. In diesem Pakt sollte dem weltlichen Herrscher aus geistlicher Sicht Legitimation zugesprochen werden – unter der Bedingung, dass der weltliche Herrscher die Verbreitung der religiösen Lehren unterstützt. Laut Al-Wahhab sollten Neuerungen, die im Laufe der historischen und gesellschaftlichen Veränderungen in den Islam Einzug gefunden hatten, entfernt werden: Statt der als schändlich empfundenen Neuerungen sollte man sich nur noch an die direkten Überlieferungen des Korans halten. Diesen Pakt konnte das saudische Herrscherhaus ab 1938 global umsetzen: In diesem Jahr wurde die erste saudische Ölquelle entdeckt. Das Haus Saud hatte fortan Zugriff auf scheinbar endlose Petro-Dollar. Mit diesen finanziellen Mitteln wurden globale Gruppen unterstützt, die sich als Ziel gesetzt haben, die wahhabistische Ideologie zu verbreiten – mit militärischen und nicht-militärischen Mitteln.
Der Iran: “Hauptsponsor” des globalen Terrorismus?
Und bis jetzt war das Haus Saud mit seinen Verbündeten in den restlichen Golfstaaten erfolgreich damit. Wir haben am Anfang erwähnt, dass die Aussage über den Iran als Hauptsponsor des Terrorismus falsch ist. Und dafür gibt es konkrete Daten. Von den mehr als 61 Gruppen, die seitens des U.S. State Department als terroristische Organisationen eingestuft werden, ist die überwältigende Mehrheit wahhabitischen Ursprungs und wird von saudischer Seite finanziell unterstützt. Es gibt aktuell nur zwei Gruppierungen in der Liste des U.S. State Departments, deren Ideologie auf den vom Iran unterstützten Shi’a-Islam basiert: Hezbollah und Kataib Hezbollah. Von allen Gruppen haben gerade mal vier zugegeben, Unterstützung aus iranischer Seite erhalten zu haben – fast alle militanten Sunni-Gruppen aus der Liste haben dagegen direkte Unterstützung vom saudischen Staat oder hochrangigen saudischen Staatsbürgern erhalten. Weil es nicht alle Gruppen zugegeben haben, bedeutet das nicht, dass sie nicht auch Unterstützung vom Iran erhalten haben – aber das hat nichts mit der eigentlichen Frage zutun, wer der wirkliche Hauptsponsor des Terrorismus ist: Das ist rein zahlenmäßig laut den Quellen des State Departments der Iran. In der Diskussion um den islamischen Terrorismus werden gerne alle terroristischen Gruppierungen in dieselbe Kategorie gepackt, wobei wichtige theologische Nuancierungen völlig vergessen werden.
Der Iran ist nicht der eigentliche Unruheherd
Die Ambitionen des Irans sind primär auf regionale Dominanz gerichtet, in einer Art kalten Krieg gegen seinen Hauptrivalen: Saudi-Arabien. Dabei haben verbündete Staaten beider Seiten Auseinandersetzungen miteinander, beispielsweise im aktuellen Proxy-Konflikt in Jemen. In diesem Konflikt sind einige bekannte terroristische Gruppierungen mit dem Iran ideologisch verfeindet und Vertreter des von Saudi-Arabien unterstützten Salafismus – al-Qaeda, Taliban und der Islamische Staat gehören dazu.
Der Iran hingegen unterstützt primär schiitische Gruppierungen in regionalen Konflikten, wie die Hezbollah in Libanon. Die terroristischen Methoden der Hezbollah sind selbstverständlich abzulehnen. Aber auch hier lohnt es sich, die Nuancierungen dieser Gruppe zu betrachten und beispielsweise mit dem IS zu vergleichen: Die Hezbollah verfolgt keine direkte feindliche Agenda gegen die etablierte christliche Minderheit im Libanon. Es geht hier primär um den regionalen Konflikt gegen Israel und saudische Einflüsse.
Saudi-Arabien, nicht Iran, ist der aggressivste theologische Staat der Welt
Im Iran selbst existieren festgeschriebene Minderheitenrechte und fünf reservierte Parlamentssitze für religiöse Minderheiten, darunter auch Juden. Das Land hat einer der wenigen stabilen jüdischen Gemeinden im Nahen Osten, die zahlenmässig sogar wächst. Frauen hatten das Wahlrecht und durften bereits Auto fahren, lange bevor es durch das Haus Saud auch langsam in Saudi-Arabien umgesetzt wurde. Natürlich ist am Ende auch der Iran ein theologischer Staat mit strikten Regeln zu Kleidung und anderen Vorschriften – aber es gibt nuancierte Unterschiede zu einer allumfassender theologischen Diktatur, in der keine anderen Religionen legal ausgeübt werden können, die die globale Verbreitung der rigidesten Form des Islams als Hauptziel hat und neben Gruppierungen wie den IS, Konflikten wie Jemen, auch in Bezug auf die Terroranschläge des 11. Septembers impliziert wurde. Die vom Iran ausgehenden Gefahren sind hingegen regionaler Natur: Der Iran gefährdet primär Israel und die restlichen Golfstaaten neben Saudi-Arabien. Dagegen hat die saudische Regierung weitläufige Ziele, die über nationale Konflikte weit hinausgehen: Alle vorhandenen Daten deuten auf das Ziel einer wahhabitisch-globalen Hegemonie hin, die mit Gewalt durchgesetzt werden soll.
Eine vertane Chance auf Zusammenarbeit
Der Iran befindet sich seit langem in der Isolation. Die bis 2012 anhaltende wirtschaftliche Erholung ist gestoppt. Zwar wurde der darauffolgende Abschwung durch eine leichte Erholung des Bruttoinlandsprodukts ersetzt, die iranische Wirtschaft ist aber noch lange nicht wieder auf dem Niveau von 2012.
Die iranische Bevölkerung lechzt nach Veränderung. Zum diesjährigen Holocaustgedenktag verkündeten viele junge Iraner im Internet ihre Solidarität mit dem jüdischen Volk – verhüllt um Repressionen durch das Regime zu entgehen. Aber eins ist klar: Die Gesellschaft im Iran ist bereit für Veränderungen.
Aber gerade bei der jungen, liberalen Bevölkerungsgruppe hat der Ausstieg aus dem Atomabkommen für Unverständnis und Frust gesorgt. So meinte eine junge Iranerin: “Iraner verdienen es, in Frieden zu leben. Und ich hoffe, es kommen bessere Zeiten. Aber wir sind schon müde vom ganzen Hoffen. Ein weiteres Mal wurden wir enttäuscht – und das, obwohl sich der Iran hundertprozentig an das Abkommen gehalten hat.”
Das durch die Aufkündigung des JCPOA an die Jugendlichen und jungen Erwachsenen entsandte Signal im Iran, die so sehr auf Veränderung und Annäherung an den Westen hoffen ist fatal. Es lautet: Der Iran kann sich noch so sehr bemühen, seine Jugend noch so sehr hoffen, am Ende bleibt ihr Schicksal ein Spielball von geopolitischen Interessen.
Und Isolation kann wohl kaum ein effektives Mittel sein, um totalitäre Regimes entweder zum Umdenken zu bewegen oder abzulösen. Den autoritären politischen Systemen in Kuba und Nordkorea gelang es über Jahrzehnten, in der Isolation die Kontrolle über ihre Bevölkerung zu behalten. Die Aufkündigung des Iran-Abkommens hilft am Ende vor allem den iranischen Hardlinern, die durch die Aufkündigung des Abkommens weiterhin die USA und den Westen dämonisieren und eine Annäherung als unmöglich und vom Westen gar nicht gewollt darstellen können. Es ist eine Schande, dass die USA unter Präsident Trump den Fehler der Regierung Obama wiederholte, die 2009 bei Aufständen sich auf die Seite des Regimes stellte und damit den Status quo zementierte – anstatt gemäß der Maxime “Wandel durch Annäherung” den Iran auf seinen Weg zu einem besseren Land zu begleiten.
Hoffnung? Nicht mit Trump!
Für den Iran muss die Lage aktuell aussichtslos erscheinen. Das Gros der internationalen Firmen, die sich im Iran engagieren wollten, kann es sich nicht leisten, sich mit den USA anzulegen und empfindliche Strafen für US-Tochterunternehmen zu riskieren. Die von der EU eingeführten Mechanismen das US-amerikanische Embargo bezüglich des Irans zu umgehen, sind größtenteils wirkungslos, sie sind im besten Fall noch eine Willensbekundung. Die Situation ist für den Iran und die im Abkommen verbliebenen Partner ernüchternd. Die Wahrscheinlichkeit dass vor der US-Präsidentschaftswahl im Jahre 2020 eine Lösung gefunden wird, ist gering. Es bleibt nur zu hoffen dass die junge iranische Bevölkerung ihren Reformwillen so lange beibehalten kann. Dass die EU ihrer Linie treu bleibt und unter einem anderen US-Präsidenten diese auch durchsetzen kann. Und dass ab 2020 ein neuer Präsident im Weißen Haus sitzt.
Auch zum Wohle der iranischen Bevölkerung sollte dieser den Mut haben, die jahrzehntelange Dämonisierung und die Mär vom Iran als primäre Bedrohung für den Westen zu beenden. Denn Wandel geschah in der Neuzeit eigentlich immer durch Annäherung, nicht durch Isolation. Deutschland konnte sich nur zu dem Exportwunder entwickeln, weil nach dem zweiten Weltkrieg erst auf die BRD, später auf die DDR zugegangen wurde. Diese großartige Entwicklung haben wir als Deutsche den Amerikanern zu verdanken. Den Erfolg dieser Annäherung sollten wir im Kopf behalten – und von Zeit zu Zeit unsere Freunde jenseits des Transatlantiks daran erinnern, dass auch der Iran eine solche Chance verdient.
Bildquelle: Obamas Außenminister John Kerry beim Handshake mit dem iranischen Außenminister Javad Zarif. U.S. Department of State from United States. Public Domain.
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