Wenn Staatsskeptiker wie Nationalisten klingen.

Ein Vorzeigediplomat. Das ist er wohl nicht. Er ist frech. Er ist polarisierend. Er ist vorlaut. Er nervt. Richard Grenell verstößt laufend gegen das Protokoll. Im Gegensatz zu Publikumslieblingen wie Yassir Arafat oder Greta Thunberg wird er wohl niemals für den Friedensnobelpreis nominiert werden. Er spricht Dinge aus, die aufrütteln. Auch weil sie manchmal nicht gänzlich von der Hand zu weisen sind.

Deutschland hinkt in seinen bündnispolitischen Verpflichtungen hinterher. Das weiß man nicht erst seit der Mann im Weißen Haus Donald Trump heißt – das wusste schon sein Vorgänger.

Schon bevor Trump zum US-Präsidenten gekürt wurde, gingen allerorts die Wogen hoch. An ihm gibt es zweifellos eine Menge zu kritisieren. Was allerdings übersehen wird: Ohne ihn hätte so manche europäische Partei weder Feindbild, noch Kampagnenthema – und die Bewältigung der 5%-Hürde wäre nur noch ein Wunschtraum.

Vor noch nicht all zu langer Zeit kenterte irgendwo zwischen Libyen und Italien täglich ein marodes Schlauchboot. 3800 Tote im Mittelmeer – das war die schockierende Bilanz des Jahres 2016. Trotzdem sieht man sich in Europa immer noch zu häufig als humanitäres Konkurrenzunternehmen zur Ostküste. Die Wahrheit ist freilich komplizierter.

Selbst der Diskurs über Trumps Mauerpläne ist manchmal von Heuchelei geprägt. Dabei delegiert man die Verantwortung an ein türkisches Staatsoberhaupt, damit er 2,9 Millionen Flüchtlinge an der europäischen Außengrenze unterbringt.

In der Nacht des 08. November 2016 hat Europa ein neues Liebesobjekt entdeckt. Anstatt vor der eigenen Türe zu kehren, sitzt der Deflektor des eigenen Versagens im Weißen Haus.

 

Der Vorwurf an Grenell lautet, dass er wie ein Agent einer ausländischen Besatzungsmacht agiere. Das ist hanebüchen. Jedoch hat Deutschland bereits andere Botschaftsgebäude, in denen manche ihrer Mitarbeiter mehr als Agenten, denn als Diplomaten fungieren.

Etwa in der Tiergartenstraße 19-21 in Berlin. Die Spionageabwehr des deutschen Verfassungsschutzes stellte kürzlich fest, dass ein Berliner Polizist im Auftrag der türkischen Regierung in Deutschland spioniert hat. Der Polizist war nur entdeckt worden, weil die Spionageabwehr des Verfassungsschutzes einen Mitarbeiter der türkischen Botschaft beobachtet hat.

Aber auch in der Podbielskiallee 67 verlaufen die Grenzen zwischen Diplomaten und ausländischen Agenten von Zeit zu Zeit fließend. Reinhold Robbe, der ehemalige Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, sollte vor nicht allzu langer Zeit durch iranische Spione ermordet werden.

Irgendwann wurde der iranische Botschafter schließlich einbestellt.
Die Ausweisungen von Botschaftern behält man sich jedenfalls für unliebsame Amerikaner vor. Maßgeblich, um innenpolitisches Kleingeld auf Kosten der US-Administration zu machen.

Richard Grenell scheint Zauberkräfte zu besitzen.

Durch seine Provokationen klingt Kubicki, ein ausgewiesener Liberaler, der Volkstümelei wohl genauso skeptisch beäugt wie einen aufgeblähten Staatsapparat, ganz plötzlich wie ein stolzer Nationalist. Dass sich Kubicki kürzlich noch aus gutem Grund weigerte, Rechtsnormen dem gesunden Volksempfinden unterordnen zu wollen, hat er diesmal wohl verdrängt. Die Klaviatur des Antiamerikanismus – nach wie vor ein blühender Bestandteil deutscher Debatten – bedient er jedenfalls wie kein Zweiter.
Diesmal sogar mit der Forderung nach drakonischen Strafen.
Auch das ist – zumindest für einen Liberalen – irgendwie awkward.

Natürlich sollte man Richard Grenell – wie mein Vorredner notiert hat – einbestellen, um ihn zurechtzuweisen. Vielleicht sollte man ihm in Zukunft aber auch einfach weniger Anlass zur Kritik geben.

Kurz nach meinem Umzug in die Bundesrepublik bin ich der Initiative junger Transatlantiker beigetreten. Auch heute vermisse ich manchmal meine alte Heimat. Die Natur, die Berge, den Kaffee. Das Land, in dem ich groß geworden bin, hat sich seit 1955 der Neutralität verpflichtet, denkt Außenpolitik lediglich als Wirtschaftspolitik und redet sich aus weltpolitischer Verantwortung meist fein heraus. Ich bin in einem Land geboren, in dem Außenministerinnen mit russischen Kleptokraten auf Hochzeiten tanzen und vermeintliche Volkshelden persönliche Freundschaften mit arabischen Despoten hegten.

Deutschland hingegen spielt nicht nur in Europa, sondern auch in der NATO eine wichtige Rolle. Zudem ist Deutschland ein Land, dessen jüngste Geschichte mit rühmlichen Wendepunkten gesegnet ist. Da ist die Regentschaft Konrad Adenauers, der sich der Westbindung Deutschlands verschrieben hatte. Da ist Helmut Kohl, unter dessen Kanzlerschaft im November 1983 der NATO-Doppelbeschluss im Bundestag ratifiziert wurde.

All diese Ereignisse waren stets Folge und Ausdruck einer bestimmten Wertehaltung: Deutschland, Europa, USA: Freunde halten zusammen.
Weder ein übermütiger US-Botschafter, noch deutsche Populisten sollten dieses Prinzip jemals in Abrede stellen.


Bildquelle: Sanjar Khaksari. Creative Commons 2.0.

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