Wir schreiben den 4. November 2015. Justin Trudeau gewinnt die kanadischen Wahlen. Kurz nach der Ernennung zum Premierminister kündigt sein liberales Kabinett die Überarbeitung der kanadischen Polarstrategie an. Das letzte Weißbuch zur Polarregion war 2010 noch unter seinem konservativen Vorgänger Stephen Harper überarbeitet worden. Nun muss eine neue Strategie her. It’s about time.
Denn vor allem durch das zunehmende Abschmelzen der Polarkappen kommen die arktischen Vorkommen natürlicher Ressourcen in Reichweite. Dementsprechend schnell treiben die arktischen Anrainerstaaten die Erschließung ihrer Territorien voran.
Besser: der Territorien, auf die sie Anspruch erheben.
Der Klimawandel zwingt nun auch Kanada zum geopolitischen Umdenken.
Anspruchskonflikte sind in der Arktis nichts Neues. Schließlich wurde bereits 1996 der Arktische Rat gegründet, in dem alle Anrainerstaaten der Arktis vertreten sind. Ziel des Rates ist es, Kooperation und Koordination zwischen den beteiligten Ländern zu fördern, den Abbau von natürlichen Ressourcen zu regeln, sowie die einzigartige Umwelt der Arktis zu sichern. Auch die Interessen von indigenen Bevölkerungsgruppen sollten darin grenzübergreifend mehr Berücksichtigung finden, weshalb auch sie an den Sitzungen teilnehmen. Von diesen idealistischen Ansprüchen ist jedoch nur wenig übrig geblieben.
Zwar kann der Rat auf einige Erfolge bei der Koordination von multinationalen Interessen und dem Abbau von Rohstoffen verweisen. Andere Aspekte fanden allerdings wenig Beachtung. Vor allem sicherheitspolitische Überlegungen blieben auf der Strecke.
Und darin liegt die Crux begraben. Nicht nur die Erschließung arktischer Rohstoffe ist in den letzten Jahren leichter geworden – auch die Anreize diesen Souveränitätsansprüchen durch militärische Installationen oder Patrouillen Nachdruck zu verleihen. Vor allem Russland scheint sich vermehrt dieser Strategie zu bedienen, wie zahlreiche Berichte über abgefangene russische Militäreinheiten zu Wasser wie zu Luft verdeutlichen. Kanada hingegen – als einer der größten Anspruchsheber – zögert bisher.
Zu lange schon, sagen nicht wenige. Auch die stetig gefallenen Militärausgaben unter der Harper-Regierung sprechen Bände. Zwar hatte die Trudeau-Regierung groß angekündigt, diesen Trend umzukehren und die Militärausgaben massiv auszubauen. Viel ist bisher allerdings nicht daraus geworden. Im Gegenteil, die Militärausgaben fielen weiter.
Kalte Zeiten – nicht nur am Polar
Seit dem Antritt von Donald Trump gilt die Zusammenarbeit zwischen Kanada und den Vereinigten Staaten als schwer belastet. Der beinahe kompromisslose Kurs in der Handelspolitik, vor allem erkennbar in der Aufkündigung des NAFTA und der gefolgten Neuverhandlung eines ähnlichen Abkommens, hat die nordischen Nachbarn abgeschreckt. Schließlich war das Abkommen Jahrzehnte lang Grundlage des Nordamerikanischen Warenaustausches und damit Wohlstands der Nationen. Trump ist aber nicht nur für seine ‘Hau Ruck’-Aktionen bekannt, sondern auch für seinen geflissentlich undiplomatischen Tonfall. Auch Trumps Wahl als Botschafterin muss für die Kanadier fragwürdig erschienen sein: Ambassador Kelly Craft machte bereits in der ersten Woche Schlagzeilen als sie ein durchaus merkwürdiges Interview über den Klimawandel gab. Darin gab sie zu bedenken, dass sie an „beide Seiten“ der Klima-Debatte glaube. Whatever that means.
Auf zu neuen Ufern
Kanadas neue Polarstrategie wird darauf abzielen, das kanadische Engagement nördlich des Polarkreises deutlich auszubauen. Dies bezieht sich aber nicht nur auf militärische Faktoren – wenngleich diese ein wichtiger Bestandteil der neuen Strategie sind. Es ist eine neue Gesamtstrategie zu erwarten, welche den hohen Norden Kanadas erschließen, natürliche Ressourcen entwickeln, das Leben der indigenen Bevölkerung verbessern, die einzigartige Umwelt erhalten und das Land und seine Kultur militärisch absichern will. Klingt dies zu viel gewollt? Jein.
Schließlich waren vier dieser Aspekte bereits unter Harper angekündigt und kaum umgesetzt worden. Allerdings hatte Harper auch die Ehre, Kanada durch die große Wirtschaftskrise 2008 und ihre Nachwirkungen zu führen. Wodurch seine Regierung einen deutlich stärkeren Fokus auf die Wirtschaft sowie den Arbeitsmarkt setzen musste. Während Harper als Krisenminister bekannt wurde, wirkt Trudeau mittlerweile eher als Influencer als ein ernstzunehmender Politiker. Es bleibt aber zu hoffen, dass der Norden mit der neuen Strategie wieder mehr Aufmerksamkeit im nationalen Bewusstsein Kanadas erhält. Immerhin 40% der kanadischen Landfläche liegen fast nördlich des Polarkreises.
Die durch den globalen Klimawandel hervorgerufenen Probleme dürfte Kanada in nächster Zeit nicht so schnell los werden. Ambassador Craft hingegen schon. Sie zieht es nun weiter zu den Vereinten Nationen.
Titelbild: Holgate Clacier. Alaska. Taken by Kira Harris. CC 2.0.