Die Zahl, die meine außenpolitische Position unter den Anhängern der Sozialdemokratie skizziert, lautet 2,9%. Gerade einmal 2,9% der Anhänger der SPD wünschen sich – so ergab es eine Umfrage der Atlantik-Brücke – eine erneute Annäherung zwischen den USA und Deutschland. Als bekennende Transatlantikerin stehe ich also in einem recht überschaubaren Kreis von Genossen.
Ein Blick über den Tellerrand der eigenen Partei sieht ganz ähnlich aus: Nur 13,1% der Deutschen wünschen sich wieder eine intensivere Zusammenarbeit. 26% der Befragten sind der Auffassung, der deutsche Kurs müsse beibehalten werden, während sogar 57,6% für eine stärkere Distanzierung der BRD zur USA plädieren.
Ganz 84,6% der Befragten bewerten das Verhältnis zu den Staaten als „sehr negativ“ oder „negativ“.
Transatlantische Meinungen sind in die Jahre gekommen. „Spiegel Online“ unkt gar vom „Ende der Transatlantiker“. Wenn auch anzumerken ist, dass wir es sind, die hier einseitig Schluss gemacht haben.
Die Deutschen haben mit der USA Schluss gemacht
Die Amerikaner werten die Beziehungen zu Deutschland jedenfalls anders: Für 70% ist das Verhältnis eher „gut“ bis „sehr gut“, wie das Pew Research Center als Partner der Körber-Stiftung herausgefunden hat. Und ja, Umfragen sind Momentaufnahmen von Gefühlen der Befragten. Aber das tröstet wenig. Vor allem, wenn man bedenkt, dass die Beziehung zwischen den Ländern nicht erst abgekühlt ist, seit ein Donald Trump polternd, hetzend und in der Aufmachung einer Karikatur im Weißen Haus sitzt.
Sicher ist er der Präsident, der personell einen Höhepunkt der Distanzierung verkörpert. Aber auch mit seinen Vorgänger taten die Deutschen sich schwer. Die Dämonisierung (und Verlachung) von George Bush jr. kannte Anfang der 2000er Jahre kaum Grenzen. Von der weltpolitischen „partnership in leadership“-Definition des deutsch-amerikanischen Verhältnisses seines Vaters, der mit Reagan übrigens einst die Wiedervereinigung möglich gemacht hatte, konnte keine Rede mehr sein.
Die Folgen des 11. Septembers – vor allem der Irakkrieg – brachten ab 2001 einen deutlichen Bruch der Beziehungen.
Und auch unter Barack Obama, der im direkten Vergleich mit Amtsvorgänger und –nachfolger strahlender erscheint, erhielt das Verhältnis mindestens einen empfindlichen Dämpfer, wenn nicht gar eine nachhaltige Beschädigung, als 2013 bekannt wurde, dass eine Abteilung der NSA 2002 begonnen hatte, deutsche Spitzenpolitiker abzuhören. Da half es auch wenig, dass Obama im Interview im deutschen Fernsehen versprach, dass die deutsche Kanzlerin sich keine Sorgen machen müsse (weiter abgehört zu werden).
Beziehungsstatus: Es ist kompliziert
In der transatlantischen Beziehung fühle ich mich wie der Partner, der nicht loslassen möchte. Umgeben von gutmeinenden Ratgebern, die darauf hinweisen, dass auch andere Mütter schöne Söhne hätten. China zum Beispiel. 42,3% der Deutschen sind, um auf die Umfrage der Atlantik-Brücke zurückzukommen, mittlerweile der Meinung, dass China für Deutschland der bessere Partner sei. Dass es sich hierbei um ein autokratisches System handelt, interessiert offenbar niemanden. Und ein weiterer Partner rückt in den Fokus: Das Ende des Kalten Krieges befreite offenbar von lästigen Zwängen und so bändelt man geschichtsvergessen mit einem Ex an: Russland. Seines Zeichens unter Putin ebenfalls ein autokratisches System, was geflissentlich übersehen wird. Gerhard Schröders Zitat des „lupenreinen Demokraten“ ist das bekannteste Beispiel dieser Ignoranz.
Ich bin allerdings der Auffassung, dass sich dieser Kurs rächen wird. Die Allianz mit den Vereinigten Staaten von Amerika ist in ihrer Natur vielfältiger, als ein reines wirtschafts- oder sicherheitspolitisches Bündnis. Es ist vielmehr auch die Verhaftung im selben Wertesystem, das auf einer freiheitlich demokratischen und rechtsstaatlichen Grundlage basiert. Wer zieht diese Parallele mit dem russischen Staat? Oder mit China? Der Schutz von Minderheiten, die Freiheit der Presse und die Freiheit der Opposition und von Wahlen bleiben in Russland Wunschdenken. Wohin also orientieren, wo Bündnisse suchen? Es geht hierbei ausdrücklich nicht um blinde Gefolgschaft. Diese lehne ich ab. Es geht aber auch nicht um die Bewertung einzelner Konflikte und ihrer Risiken. Es geht um die wachsenden Herausforderungen in einer rauer werdenden Weltpolitik. Es geht darum, seine Rolle zu finden, sie anzunehmen, Verantwortung zu tragen. Und es geht darum, Risiken zu teilen und vor allem Risikovorsorge zu betreiben.
Emanzipation mit und nicht von den USA
Darin waren wir die letzten Jahrzehnte nicht eigenständig. Oder, wie Sigmar Gabriel sagt (und ich gebe ihm in letzter Zeit nicht oft Recht):
„Wir haben lange in der bequemen Situation verharrt, dass sich die Briten, Franzosen und vor allem die Amerikaner um die schwierigen Dinge in der Welt kümmern“.
Nun kann man laut nach Europa rufen. Das ist sicherlich richtig. Und das tun auch diverse Politiker. Gabriel übrigens auch. Leider haben wir es bisher aber nicht geschafft, zu einer gemeinsamen europäischen Außenpolitik zu kommen, sie überhaupt einmal zu definieren. Ja, es tut sich etwas. Erst im Frühjahr 2019 ließen neun EU-Staaten, darunter Deutschland und Frankreich, den übrigen Mitgliedern ein Papier zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik zukommen. In diesem (inoffiziellen) Dokument fordern die Staaten, so berichtet das Handelsblatt: „Wir müssen weniger Zeit damit verbringen, uns selbst zu koordinieren“.
Stattdessen solle die EU mehr in den Aufbau von Partnerschaften mit anderen Akteuren der internationalen Politik investieren. Ich teile den Appell, halte aber die Auflösung des Einstimmigkeitsprinzips, was ja letztlich die Forderung ist, für illusorisch. Zumindest in der nächsten Zeit.
Für eine Partnerschaft auf Augenhöhe
Mein Bekenntnis bleibt daher ein amerikanisches. Und doch immer auch ein europäisches, denn ich plädiere für eine europäische Emanzipation. Bei einem gleichzeitigen Bekenntnis zu Amerika. Eine Partnerschaft auf Augenhöhe und Herstellung des Gleichgewichts der Mächte. Kurz: Eine reifere Beziehung.
Nichts anderes formulierte übrigens bereits der von uns Sozialdemokraten noch immer am häufigsten zitierte Genosse aller Zeiten: Willy Brandt. In einem Gastbeitrag in der amerikanischen Zeitschrift „Foreign Affairs“ unterstrich er im April 1972 die wichtige Rolle des europäischen Aufbauwerks, sowie die Beziehungen zwischen den europäischen Gemeinschaften und den Vereinigten Staaten:
„And I should also like to emphasize that Europe and America, which in my opinion can hardly be separated in terms of objectives, should not let each other be separated subjectively either. They need one another as equals. As I said at Oslo in December 1971, the heavier the burdens America has to bear the stronger will become our friendship for that great country.”
Und so bleibe ich treu in der Gruppe der 2,9% und lasse mir den Schmerz nicht anmerken, den US- Nato-Botschafterin Kay Bailey Hutchison mir zufügte, als sie andeutete, dass die USA zukünftig auf eine Bundesregierung ohne SPD setzten.
Trotzig sitze ich Trump aus, dessen Präsidentschaftsende ich erst in 9 Jahren sehe.
Ich halte stattdessen Kontakt zu meinen Kollegen in den Vereinigten Staaten. Zu den Landespolitikern, mit denen ich über den Breitbandausbau diskutieren kann oder über Energiepolitik (und auch hier überschattet Trump die Vorstöße, die in den Bundesstaaten betrieben werden). Das ermöglicht mir eine deutsch-amerikanische, nicht-staatliche Vereinigung der Länderparlamentarier namens „Partnerschaft der Parlamente“, mit der ich in diesem Jahr in den Staaten auf einem Kongress der amerikanischen Länderparlamentarier war. Und so wird die deutsch-amerikanische Partnerschaft dann auch ganz menschlich.
Nina Klinkel ist gewählte Abgeordnete im Landtag Rheinland-Pfalz für die SPD. Sie ist unter anderem im Ausschuss für Europafragen und eine Welt und der Strafvollzugskommission (jeweils als stellvertretendes Mitglied) und im Ausschuss für Wissenschaft als Sprecherin für Gedenkpolitik tätig.
Titelbild: Der damalige Bundeskanzler Willy Brandt and US-Präsident Richard Nixon im Dezember 1971. CC 2.0.