Neutralität darf nicht Gleichgültigkeit heißen

Während die USA zusammen mit Großbritannien, Australien und Bahrain im Golf von Hormus patrouillieren, sieht Europa gelassen zu. Um den internationalen Schiffsverkehr unter Einsatz ihrer Marinekräfte vor weiteren Übergriffen der iranischen Revolutionsgarden zu schützen, hat sich die Initiative zu einer EU-Beobachtermission als Fehlschlag erwiesen. Schon weniger als einen Monat nach dem Vorschlag des deutschen Außenministers Heiko Maas eine sicherheitspolitisch aktivere Rolle im Nahen Osten zu spielen, hieß es wieder: Ein Schritt nach vorne, zwei Schritte zurück.

Am 29.08. diesen Jahres wurde auf dem EU-Treffen der Außen und Verteidigungsminister der Mitgliedsstaaten klar, dass es keinen gemeinsamen Beobachtereinsatz noch eine Schutzmission der EU geben wird. Während das Auswärtige Amt versicherte, doch erst noch einmal die Ergebnisse der französischen Verhandler abzuwarten, lesen sich andere Erklärungen dabei teils verwunderlich, teils realitätsfremd. So bleibt unklar, wovon der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn spricht, wenn er die Begleitung von Transportschiffen fordert, gleichzeitig aber einen militärischen Einsatz ausschließt. Dass es selbstständigen Interessenschutz nicht zum Null-Risikotarif geben kann, scheinen einige Mitgliedsstaaten nicht zu verstehen.

Die nächste vertane Chance

Mit dem leider wenig überraschenden Zurückrudern macht Deutschland allen Drittstaaten klar, dass mit einer militärisch aktiveren Europäischen Union so bald nicht zu rechnen sein wird. Und selbst friedenserhaltende Einsätze in der EU schwieriges Fahrwasser sind. Es wird wohl noch viel Zeit vergehen müssen, bis Europa nicht nur spricht, sondern – wenn erforderlich – auch gemeinsam militärisch außerhalb des Kontinents kooperiert. Dabei hat dieser Vorschlag nicht nur eine gute Grundlage geboten, den diplomatischen Handwerkskasten der EU um ein „hartes“ Engagement zu erweitern. Auch im transatlantischen Verhältnis wäre es wichtig gewesen, deutlich zu machen, dass die EU willens ist, das gemeinsame Interesse an sicheren und ungestörten Schifffahrtsstraßen zu verteidigen. Die bloße Präsenz einer anerkannten Partei wirkt abschreckend, wenn Sabotage- und Spoofing-Operationen der Iraner von unabhängiger Seite beobachtet und öffentlich gemacht werden. Tatsächlich befindet sich die EU – als einziger verbliebener Kontaktpartner für Teheran – in einer starken Position.

Das von ihr installierte Zahlungssystem Instex zur Abwicklung von Transaktionen mit westlichen Unternehmen ist für Teheran eine der wenigen verblieben Einrichtungen um an harte Währung zu kommen. Einschränkungen von Instex würden den Iran folglich sowohl im eigenen Land, wie auch bei seinem großen strategischen Vorhaben, der Errichtung des „schiitischen Halbmonds“, hart treffen. Die iranische Absicht, die EU zu verärgern oder vor Ihrer Nase gegen internationales Recht zu verstoßen, dürfte also entsprechend schwer umsetzbar sein. Zumindest darf man hoffen, dass die Iraner damit kalkulieren, dass ihre Handlungen Auswirkungen auf die zukünftigen Beziehungen mit der EU haben. Tatsächlich wären auch die Kosten eines solchen Einsatzes tragbar. Wie drei renommierte Experten erst neulich vorrechneten, würde eine auf 18 Monate angelegte Operation etwa 30% der Marine-Kapazitäten Europas erfordern. In Anbetracht der Kosten einer Eskalation mit explodierenden Ölpreisen und unterbrochenen Wertschöpfungsketten wäre das eine gute Investition.

Die EU macht sich selbst zum internationalen Zwerg

Anstatt ihre starke Verhandlungsposition aber zu nutzen, kauern sich die Staaten Europas zusammen und bibbern um den Erhalt des JCPOA. Nach der einseitigen Aufkündigung durch die Regierung Trump nimmt nun auch der Iran Stück für Stück, mit höheren Anreicherungsgraden von Uran 235, das sogenannte Iran-Abkommen auseinander. Das Außenbild der EU auch hier: schwach.

Die Andeutung von Gesprächsbereitschaft des iranischen Außenministers Sarif in Biarritz begleitet von der Androhung weiterer Verstöße genügte um den Rückzug von allen militärischen Optionen zu erwirken. Obwohl die Wiederbelebung des JCPOA derzeit so weit weg wie nie zuvor ist: die EU ist weiterhin bereit einseitig außervertragliche Zugeständnisse zu bringen um Teheran zu besänftigen.

Und der Iran geht in die Offensive

Iranische Hardliner dürften die Absage wohlwollend zur Kenntnis genommen haben. Denn ihr Plan, die politischen Grenzen immer noch ein wenig nach außen zu verschieben, ohne dabei wirkliche Zugeständnisse machen zu müssen, ist aufgegangen. Fast noch besser: Während die Europäische Union sich ins Abseits manövriert, steigt mit jeder Wiederholung die Wahrscheinlichkeit, dass auch finanzielle Zugeständnisse in Reichweite rücken. Mit bloßer Symbolpolitik ist die EU in eine Falle getappt, während der Iran an Israels Grenzen und mittlerweile auch gegen Saudi Arabien seine Muskeln spielen lässt.

Mit der Verhinderung eines Drohnenangriffs auf israelisches Territorium und der Zerstörung hochmoderner Steuerkomponenten für Präzisionsraketen durch die IDF nahm Israel eine Beschränkung der konventionellen Möglichkeiten der schiitischen Theokratie vor. Denn die Gefahr einer großflächigen Eskalation geht vor allem – wie bereits im Jemen zu sehen ist – von den Suizid-Drohnen, den Kurzstreckenraketen und der Kleinwaffenverbreitung durch den Iran aus. Die Gefahreneinschätzung liegt hier vor allem in der Natur der Waffensysteme. Die Produktion von waffenfähigem Nuklearmaterial erfordert vor allem teure, räumlich eng beschränkte und komplexe Infrastruktur, die ein leichtes Ziel für moderne Streitkräfte darstellt. Jedoch ist es kein Problem, mithilfe von Bauplänen der Revolutionsgarden in Werkstätten reihenweise und ohne teure Fachexpertise kostengünstig Raketen und Drohnen zu produzieren. Längst geht es nicht mehr nur um einen Vertrag, um ein zukünftiges nukleares Wettrüsten im Nahen Osten zu vermeiden, sondern um die Stabilität genau in diesem Moment.

Auch hier sollte Europa eine größere Rolle spielen. Es muss versuchen, Irans Stellvertreterorganisationen zu schwächen, denn es ist die einzige verbliebene westliche Geldquelle des Iran, aus der momentan auch Hisbollah und Quds-Brigaden finanziert werden. Die EU ist in das Geflecht der regionalen Dynamik zu tief involviert um hier gänzlich neutral zu bleiben. Darum muss sie ihren Einfluss auf das konventionelle Waffenprogramm geltend machen, um Irans Abenteuer der regionalen Hegemonie im Zaum halten zu können. Insbesondere Deutschland, mit seinen traditionell guten Beziehungen zu allen Konfliktparteien, ist hier gefordert, für eine stärkere Koordination zwischen Europa und den USA zu werben, um die vorhandenen Hebel optimal anzusetzen.

Dazu gehört aus Fehlern zu lernen und zu sehen, dass wohl überlegte militärische Auslandseinsätze per se nichts mit Kanonenboot-Diplomatie zu tun haben, sondern ein nützliches Mittel klugen diplomatischen Handelns sein können.


Titelbild: View from the viewing platform of the Reichstag Building, Berlin. Amir Appel. Flickr. CC 2.0.

 

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