We’re going to impeach this motherf***er.
Diese Worte waren es, die Rashida Tlaib zu Beginn des Jahres einer tobenden Meute ihrer Anhänger entgegen brüllte. Und tatsächlich scheint die demokratische Abgeordnete aus dem Bundesstaat Michigan ihrem Ziel näher gekommen zu sein.
In der Reality-Show „The Apprentice“ durfte Donald J. Trump selbst noch die Rolle des Rausschmeißers spielen – in Staffel eins seiner Präsidentschaft könnte er jedoch selbst rausgeschmissen werden. Zumindest, wenn es nach den Demokraten geht. Denn die wollen den Präsidenten mit zelotischem Eifer aus dem Weißen Haus schaffen.
Congresswoman @RashidaTlaib tells cheering crowd that Trump impeachment coming
“We’re going to go in and impeach the motherfucker” pic.twitter.com/oQJYqR78IA
— Jon Levine (@LevineJonathan) January 4, 2019
Ohne Zweifel: Donald Trump hat einen polarisierenden Wahlkampf geführt. Gespickt mit widerwärtigen Zweideutigkeiten gegenüber Minderheiten, Frauen und seinen politischen Konkurrenten. Doch auch der Wahlkampf gegen Trump nimmt immer martialischere Züge an. Geht es nach Präsidentschaftskandidatin und Senatorin Kamala Harris (D-CA), soll Trump gleich jetzt von Twitter verbannt werden.
Oder in Einzelhaft gesperrt werden.
Hey, @jack. Time to do something about this. https://t.co/es2fJ5PNRV
— Kamala Harris (@KamalaHarris) October 2, 2019
Freilich hat niemand die Absicht, gegenüber dem Präsidenten ausfallend zu werden. Abgesehen von einem versuchten Schusswaffenattentat, wiederkehrenden Morddrohungen und ein paar Verrückten, die ihren Hass auf Republikaner einfach an anderen Vertretern der Partei ausleben.
Natürlich sehen auch zahlreiche Republikaner die Äußerungen ihres Präsidenten als eines amtierenden Präsidenten unwürdig an. Sein dog whistling mit antidemokratischen Untertönen haben wir – ebenso wie seinen wohl kaum unabsichtlichen Retweet von Benito Mussolini – nicht vergessen.
"@ilduce2016: “It is better to live one day as a lion than 100 years as a sheep.” – @realDonaldTrump #MakeAmericaGreatAgain"
— Donald J. Trump (@realDonaldTrump) February 28, 2016
Tatsächlich ist aber die Frage, wer denn nun den untergriffigeren Wahlkampf führe, relativ sinnfrei. Weil auf Inhalte, mittels derer man die Gegenseite durch bessere Argumente schlagen, stets verzichtet wurde. Die Demokraten möchten Trump – und seine Wähler – nicht argumentativ erledigen: Er soll jetzt Ziel eines Amtsenthebungsverfahrens werden.
Hat Robert Mueller denn jetzt doch die smoking gun finden können?
Wrong.
Hat Präsident Trump das Land mitsamt Medien an russische Oligarchen verscherbelt? War das nicht dieser Österreicher?
Hm. Hat Trump das Land stattdessen an ukrainische Oligarchen verkauft?
Now we’re talking.
Von Drogenmissbrauch zu Amtsmissbrauch?
Schon Jahre, bevor der US-Präsident sich überhaupt dazu entschloss, in die Politik zu gehen – etwa beim White House Correspondents‘ Dinner im Mai 2011, als der damalige Präsident Barack Obama sich über ihn ausgelassen hatte – wurde der Sohn des damaligen Vizepräsidenten Joe Biden von MBNA eingestellt. MBNA ist eine Bank aus Delaware, eben diesem Bundesstaat, den Joe Biden auch im Senat jahrelang vertrat.
Die engen Beziehungen Bidens zur Bank brachten ihm bereits in den 90ern den Ruf des Senators from MBNA ein. Zugleich brachte ihm diese Beziehung aber auch Kapital für seine Senatskampagnen.
Und während VP Bidens Sohn Beau den Weg des Vaters einschlägt und auch ohne viel Rückenwind eine veritable Karriere einschlagen wird, bevor er dann viel zu früh an einem Hirntumor stirbt, wurde aus Hunter quasi das schwarze Schaf der Familie – meinte zumindest Vox.
Nach mehreren Jahren in verschiedensten Unternehmen, denen gemein ist, dass sie etwas mit der Arbeit des Vaters zu tun haben könnten, tritt Hunter der US-Marinereserve bei. Nach weniger als einem Jahr des Dienstes, für welchen bereits zwei Ausnahmegenehmigungen – eine des Alters, eine früheren Drogenkonsums wegen – erforderlich waren, wird bei einem Drogentest festgestellt, dass Hunter Biden Kokain konsumiert hatte. Die Entlassung folgt auf dem Fuße.
Plötzlich aber ein Schnitt, eine Veränderung im Leben: Hunter Biden wird Teil des Vorstands eines ukrainischen Erdgasunternehmens. Welche Qualifikationen dafür erforderlich waren und welche er mitbrachte, lässt sich schwer sagen – zweifellos schadete ihm aber die Rolle des Vaters, der damals noch US-Vizepräsident war, nicht.
Inmitten dieses Interessenkonflikts urgiert nun Vizepräsident Joe Biden, dass der ukrainische Generalstaatsanwalt Wiktor Schokin entlassen werden möge.
Erklärt er auch selbst:
Dass Biden für die Entlassung Schokins verantwortlich war, wie Präsident Trump im Telefonat mit dem ukrainischen Präsidenten Selensky erklärt, stellte Biden selbst fest. Fraglich ist also nur, ob die Entlassung auf der angeblich zu langsamen und mutlosen Bekämpfung von Korruption durch Schokin liegt – oder ob Ermittlungen gegen Burisma, das Unternehmen, für welches Hunter Biden handelte, den Ausschlag gaben.
Was war eigentlich geschehen?
Aus der Sicht von Präsident Trump scheint die Sache klar: Biden intervenierte und konnte mit der Entlassung des Generalstaatsanwalts mögliche Ermittlungen gegen seinen Sohn ersticken. Aber es könnte natürlich – so viel muss gesagt sein – auch völlig anders gewesen sein. Schließlich unterstützte auch EU-Ukrainegesandter Tombinski die Entlassung.
Um der Sache auf den Grund zu gehen, bat Präsident Trump folglich seinen ukrainischen Amtskollegen um Ermittlungen in der Sache – wörtlich: „Biden went around bragging that he stopped the prosecution so if you can look into it… It sounds horrible to me.“
Im Anschluss an das Telefonat wurde das Transkript auf einen Server geladen, der schützenswerte und vertrauliche Dokumente enthält. Zu Recht – aus Sicht des Weißen Hauses. Kompliziert wird die Situation jedoch, als eine noch unbekannte Person ihren Unmut darüber ausdrückt, dass aus seiner bzw. ihrer Sicht die Regierung widerrechtlich nach dem Telefonat entschieden hätte, das Transkript auf den besagten Server zu laden. Aus Sicht von Kellyanne Conway etwa, einer Beraterin des Präsidenten, ist dieser Prozess gebräuchlich, nachdem immer wieder Details aus vertraulichen Gesprächen durchgesickert waren.
Laut den Demokraten stellt sich die Geschichte jedoch etwas anders dar.
So soll Präsident Trump das Gespräch nämlich zu verheimlichen versucht haben, indem er finanzielle Hilfen nur dann in Aussicht gestellt hätte, wenn die neue ukrainische Regierung seinem Wunsch Folge leisten würde. Diese Recherche würde ausländischer Beeinflussung des Wahlkampfs gleichkommen – noch dazu auf Wunsch des US-Präsidenten höchstpersönlich, meinen sie.
Im Wissen um die Brisanz des Gesprächsinhalts hätte man nicht nur das Transkript versteckt. Vielmehr hätte man auch versucht, die Beschwerde des Whistleblowers zu behindern. Und dann wären da noch 400 Millionen US-Dollar, deren Auszahlung an die Ukraine durch das Weiße Haus verzögert worden sein soll.
Konkret müssen vom Inspekteur der Geheimdienste (Inspector General of the Intelligence Community) für glaubwürdig gehaltene Beschwerden an den Director of National Intelligence weitergeleitet werden – das ist auch geschehen. Dieser hätte aber entgegen der Vorgabe die Beschwerde nicht an die zuständigen Mitglieder des Kongresses weitergeleitet. Entsprechend beschwert sich der Inspekteur selbst bei den Vorsitzenden der Geheimdienstausschüsse im Kongress – woraufhin zwei Tage später Militärhilfe in Höhe von besagten 400 Millionen US-Dollar ausgezahlt wird. Wieder zwei Tage später entschließt sich Rep. Adam Schiff (D-CA), der Vorsitzende des Geheimdienstausschusses im Repräsentantenhaus, die Geschehnisse publik zu machen. Problematisch ist zu jedem Zeitpunkt, dass der Whistleblower klar macht, dass er die Details nicht selbst zu berichten weiß – stattdessen hätten ihm andere Personen diese zugetragen.
Impeachment, die Zweite?
An dieser Stelle wird deutlich, weshalb auch Rep. Nancy Pelosi (D-CA) zunächst zögerlich war, ein Impeachment-Verfahren einzuleiten. Aus Sicht der restlichen demokratischen Abgeordneten im Repräsentantenhaus sei der Präsident jedoch zu weit gegangen, sodass ein Impeachment unausweichlich sei.
Besonders tragisch ist hierbei, dass das losgetretene Verfahren durchaus das Potential hat, den Vorwahlprozess der Demokraten zu prägen. Während andernfalls über Sinn und Unsinn von Studiengebühren, Krankenversicherung und Grundeinkommen diskutiert worden wäre, muss man sich nun auf die Diskussion der Frage einstellen, wie intensiv ein Impeachment-Verfahren geführt werden soll – und kann. Zu einem Zeitpunkt, an dem die nächsten Präsidentschaftswahlen nur noch knapp 13 Monate entfernt liegen.
Aus Sicht der Demokraten müsste auch der mögliche Preis im Falle eines Sieges etwas kritischer betrachtet werden. Soll ein Impeachment spätestens im Januar im Senat ankommen – wo es ohnehin keine Mehrheit erhalten wird, da zwanzig Republikaner hierzu dem Präsidenten das Misstrauen aussprechen müssten – würde im Februar Mike Pence als Präsident nachrücken.
In einem Zeitalter, in dem zahlreiche demokratische Kandidaten das Recht auf Abtreibung ins Feld führen, muss die Präsidentschaft eines Evangelikalen doch einem Weltuntergang gleichkommen? Wir erinnern uns: Weniger als ein Jahr Präsidentschaft Trump dauerte es, bis ein Schwall gewalttätiger, vermummter Linksextremer auf eine friedliche Demonstration von Rechten einprügeln sollte. Weniger als fünf Monate waren notwendig, um einen Menschen auf basketballspielende Republikaner das Feuer eröffnen zu lassen.
Welcher Blutzoll soll am Ende eines Jahres Präsidentschaft Pence stehen?
Stop the Madness!
„Beendet den Wahnsinn!“ – Dazu rufen nicht nur die Republikaner auf, dazu sollte auch der gesunde Menschenverstand aufrufen. Klar, die gerügten Taten im Impeachment-Verfahren sind schwammig definiert und es gibt zahlreiche vernünftige Meinungen, die zum Schluss kommen, dass ein Verfahren genau jetzt geboten ist. Doch sollen jetzt Repräsentantenhaus und Senat über die Abwahl eines Präsidenten entscheiden, von dem sie meinen, dass er in einem Jahr ohnehin nicht wiedergewählt würde?
Wozu das alles? Die einzige Konsequenz, die ein erfolgreiches Impeachment hätte:
Donald J. Trump würde im Jahr 2020 nicht zur Wiederwahl antreten. Stattdessen würden seine Unterstützer umso vehementer für einen republikanischen Kandidaten stimmen, um einen demokratischen Präsidenten (oder auch eine Präsidentin?) zu verhindern. Was für eine Ausgangslage für eine Partei, die sich zwischen einem beinahe schon klassisch-liberalen Kurs (Joe Biden) und höheren Steuern für alle (u.a. Sen. Sanders, Sen. Warren) entscheiden werden muss.
Ohne die in den nächsten Monaten unausweichliche Debatte könnten die immer noch zwölf Kandidatinnen und Kandidaten, die in den kommenden Wochen und Monaten an Debatten teilnehmen werden, ihre eigenen Inhalte einem Millionenpublikum vorstellen. Das hätte auch den Vorteil, dass potentielle Wähler und Wahlkampfhelfer mobilisiert werden wollen. Hillary Clintons schließlich nicht erfolgreicher Präsidentschaftswahlkampf 2016 macht deutlich, dass die Botschaft einer Kampagne, das „kleinere Übel“ darstellen zu wollen, unentschiedene Wähler nicht ausreichend zu überzeugen vermag.
Inhaltswahlkampf statt Impeachment.
Wie unterscheiden sich eigentlich die gesundheitspolitische Ansätze von Sen. Sanders von denen seiner Gegner? Welche Außenpolitik würde Mayor Pete verfolgen?
Wir werden es wohl nie erfahren. Und wenn wir es durch die Webseiten der Kandidaten doch erfahren sollten, dann können wir diese Konzepte auf keinen Prüfstand heben – denn ein Gutteil der Debatten wird hauptsächlich um ein Impeachment geführt werden.
Erfolgsversprechender scheint definitiv, dem Präsidenten argumentativ zu begegnen.
Bis zum Ende der Vorwahlen einen Wahlkampf untereinander zu führen, der aus progressiver Sicht zukunftsfähige Konzepte hervorbringt und gewinnen lässt. Und ab der Democratic National Convention diese Konzepte einem Präsidenten entgegenhalten, der Faktencheckern zufolge erst etwa ein Sechstel seiner Versprechen umgesetzt hat.
Wollen die Demokraten wirklich einen Sieg erringen, so sollten sie sich ihre Worte von 2016 einprägen. Wenn nur eine Mehrheit der US-Amerikaner den legitimen Präsidenten bestimmen könne, dann kann die Entscheidung darüber, wer Donald J. Trump als Präsident folgt, auch erst am 3. November 2020 erfolgen.
In einer Replik auf diesen Beitrag widerspricht Christian Becker dem Autor. Becker hebt die juristische Notwendigkeit für ein Impeachment-Verfahren gegen den amtierenden US-Präsidenten hervor und fordert gleichzeitig eine striktere Trennung zwischen Wahlkampfrhetorik und Impeachment. Den gesamten Artikel können Sie hier lesen.
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