Ein politischer Dammbruch

Östlich von Manbij steht ein Damm. Er teilt den überwiegend von Kurden besiedelten Norden Syriens wie der Euphrat in zwei Teile. Für die türkische Armee ist er ein möglicher Wegpunkt, und während Sie diesen Text lesen, haben türkische Truppen ihn vielleicht schon erreicht.

Kaum zieht die USA ab, marschiert die Türkei ein. Es ist wie bei einem Staudamm, der bricht, wie ein Druckventil, das geöffnet wurde. Es scheint, als habe die türkische Regierung abgewartet, bis klar war, wie man in Washington D.C. handeln würde.

Hiervon lassen sich zwei Dinge ableiten: Zum einen, dass die USA, wenn sie denn „den Daumen draufhalten“, noch über gewaltigen Einfluss im Nahen und Mittleren Osten verfügen. Daraus ergibt sich ein enormes Potential für Frieden, oder zumindest eine Chance für die Abwesenheit von Krieg. Das schafft Stabilität und damit Perspektiven und Räume für Verhandlungen. Es macht also doch noch einen Unterschied, ob die USA – und gleiches gilt wohl auch für die westliche Staatengemeinschaft – Präsenz zeigen. Zum anderen aber steht der plötzliche Abzug der US-Truppen, kombiniert mit der klaren Ansage, die Türkei gewähren zu lassen, stellvertretend, ja geradezu symbolisch für Präsident Trumps persönliche Außenpolitik. Sie ist nicht klassisch-republikanisch, wie die Eindämmung der Bedrohung durch den Iran. Sie ist sprunghaft und folgt scheinbar keiner klaren Haltung. Diese persönliche Außenpolitik schafft, wo immer sie ihre Wirkung entfaltet, ein unheilvolles Vakuum. Anders als die linken und progressiven Politiker in seinem Land fordert Präsident Trump Truppenabzüge auch nicht, weil ihm der von ihnen geforderte vermeintliche Frieden am Herzen läge, sondern, weil ihm die Zustände vor Ort schlicht egal zu sein scheinen. Tragisch ist auch, dass diese Politik die Kurden nun in die Arme der syrischen Loyalisten treibt. Das ruft selbst eingefleischte Republikaner sowie engere Vertraute des Präsidenten protestierend auf den Plan. Anders als in der Türkei wird ihr fachkundiger Protest gehört und kann nur schwer zum Verstummen gebracht werden.

Donald Trump auf Auswärtsspiel in Syrien

Gemeinsam haben die Präsidenten Erdogan und Trump aber, dass sie beide angeschlagene Staatschefs sind, die innenpolitisch wackeln. Ist Präsident Trumps hastiger Nachtrag per Twitter ein erstes Zeichen von Schwäche? Die online abgesetzten Mahnungen an die türkische Führung, sich bitteschön human zu verhalten, sind nur ein milder Ausgleich für den veritablen Verrat an die ehemaligen Waffenbrüder und, konservative Leser mögen es verzeihen, Waffenschwestern. Die kann die YPG nämlich mit Stolz zu ihren Kämpfern zählen.

Es sind ebendiese Männer und Frauen, an denen sich das türkische Militär möglicherweise die Zähne ausbeißen wird. Die Performance der Streitkräfte war in den letzten Jahren eher bescheiden, viele der Offiziere, die die zurückliegende Entlassungswelle überstanden, haben Zweifel an den Zielen und der Rechtfertigung der laufenden Operation. Sie begegnen nun einer durch westliche Streitkräfte ausgebildeten und ausgerüsteten Miliz auf deren eigenem Territorium. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Türkei einen hohen Preis für ihr Engagement in der Region zahlen muss, der sich nicht nur in Ressourcen und zerstörtem Gerät niederschlagen wird, sondern vor allem in verlorenen Menschenleben auf beiden Seiten. Das zu erwartende Leid der Zivilbevölkerung ist nicht nur unverantwortlich, sondern lässt sich nicht einmal mit dem Argument eines „greater good“ begegnen. So ist es gut möglich, dass am Ende dieses Kapitels ein Wiedererstarken des IS steht, obwohl gerade in der kurdischen Region die bedeutsamsten militärischen Erfolge gegen ihn erzielt wurden. Daran haben ausgerechnet US-amerikanische Soldaten einen gewaltigen Anteil. Es bleibt abzuwarten, ob das mühsam errungene Ergebnis ihres Einsatzes nicht durch die unkluge Politik ihres Oberbefehlshabers getrübt wird.

Langfristiger Image-Schaden

In jedem Fall aber stehen die USA nun allerorts als unzuverlässige Verbündete da. Der überraschende und hastige Rückzug aus Nordsyrien erschwert die politische Kooperation für alle, die noch an das transatlantische Bündnis glauben und sich nun ein weiteres Mal zu Beteuerungen genötigt sehen. Vielleicht wird es auch die in Zukunft zu schließenden Partnerschaften erschweren. Ironischerweise könnten sich nun ausgerechnet dieEuropäische Union und Deutschland stärker engagieren. Auf dieser Seite des Atlantiks hat vor allem Deutschland erstaunlich wenig zur Befriedung Syriens beigetragen. So beschränkte sich das Engagement der Bundesrepublik auf das Ausbilden der Peshmerga und Aufklärungsflüge mit RECCE-Tornados für die Anti-IS-Koalition. Mit der territorialen Niederlage des „Islamischen Staates“ schien das Thema Syrien in Berlin abgehakt zu sein. Man muss der Bundesregierung zu Gute halten, dass diese Operationen für deutsche Verhältnisse einen gewaltigen Fortschritt bedeuten. Verglichen mit Deutschlands wirtschaftlicher und politischer Größe war das aber immer noch viel zu wenig. Mehr noch als den Einsatz der Bundeswehr scheut man im Kabinett eine echte Positionierung im Syrienkonflikt. Ein weitreichender Beitrag zur Zukunft Syriens, seiner Ethnien und seiner Probleme kam bislang nicht aus Deutschland; auch deshalb, weil man niemanden vor den Kopf stoßen wollte. In dieser Zurückhaltung liegt nun die Chance, alle Seiten zur Mäßigung zu bewegen. Gegenüber der wirtschaftlich strauchelnden Türkei sitzen Deutschland und die EU am längeren Hebel und können die Regierung in Ankara daran erinnern, was sie die Operation kosten kann. Auf angedrohte Sanktionen müssen dann aber im Ernstfall – wie gegenüber Russland – auch tatsächliche Sanktionen folgen. Für das transatlantische Bündnis bleibt zu sagen, dass die unterschiedlichen Wege auf beiden Seiten des Atlantiks wohl weitergegangen werden. Präsident Trump seinerseits überraschte – anders als beim Iran-Deal – nicht als Hardliner, sondern als regelrechter Weichling. Das ist sein vielleicht schlimmster außenpolitischer Fehler bisher.


Titelbild: President of the United States Donald Trump speaking at the 2017 Conservative Political Action Conference (CPAC) in National Harbor, Maryland. Flickr. CC 2.0.

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