Ein ganz normaler Tag in San Francisco

Dienstag, 14. Januar 2020, inmitten des Mission Districts in San Francisco. Den Tag über war es sonnig und warm. Ich bin direkt nach der Arbeit aus dem Büro gehastet, um mich noch umziehen zu können und für die Watch Party fertigzumachen. Es ist Full House in der Valencia Street. Der für 50 Leute ausgelegte Raum ist mit Sicherheit doppelt gebucht, wenn nicht sogar dreifach. Menschen stehen in den letzten Reihen und teilen sich Sofas mit viel zu vielen Menschen. Es ist warm und stickig. Die Stimmung ist ausgelassen. 

Hinter der Menge liegen knapp 100 Minuten Debatte. Es ist die erste im Jahr 2020, die letzte vor dem Iowa Caucus und die bisher am dünnsten besetzte aufseiten der demokratischen Kandidat*innen. Lediglich vier Männer und zwei Frauen haben es geschafft, sich einen Platz im Auditorium der Drake University in Des Moines zu sichern und somit die Wähler*innen in Iowa und dem Rest der Vereinigten Staaten zu überzeugen. Und diese Debatte hatte noch eine Besonderheit: Der Konflikt, der innerhalb der Demokratischen Partei (oder auch: innerhalb der demokratischen Linken fast weltweit) brodelt, kann an diesem Abend sehr klar gesehen werden. 

Nach der Niederlage der Demokratischen Partei in 2016 begann ein langes Tal der Tränen. Die gestandene Politikerin und Ex-Außenministerin Hillary Clinton hatte die Wahl gegen einen vierschrötig und bedrohlich auftretenden Opponenten nach einem emotional und nicht immer fair geführten Wahlkampf verloren und die Partei damit vor eine riesige Herausforderung gestellt. Mit Sicherheit war dies nicht allein ihre Schuld – viele Faktoren spielten beim Ausgang der Wahl eine Rolle. Neben den globalen Geschehnissen, der vermeintlichen Beeinflussung des Wahlverlaufs durch die britische Datenanalysefirma Cambridge Analytica und dem Einfluss russischer Agent*innen, die bereits durch den Secret Service untersucht werden, hinderte auch das System des Electoral College die USA daran, die erste weibliche Präsidentin in ihrer über 200-jährigen Geschichte inaugurieren zu können. Und das trotz eines Vorsprungs von knapp 3 Millionen Stimmen. Das Übrige hierzu trug die in weiten Teilen der Vereinigten Staaten verbreitete Misogynie und die Wahrnehmung Hillary Clintons als Teil der kosmopolitischen Elite bei. Durch und durch Dinge, von denen die Stadt und das County San Francisco unbehelligt blieben und als Quell des Fortschritts in Amerika bis heute sind. 

An einem anderen Abend, während einer Diskussion in derselben Bar, erzählte ein Teilnehmer, dass seine Schwester bei der vergangenen Wahl für Trump votiert hatte. Sie sei ihr Leben lang in der Obdachlosenhilfe tätig und stolze Anhängerin der Demokratischen Partei gewesen – bis 2016. Die Geschichte und die Kulisse, in deren Rahmen sie erzählt worden ist, steht sinnbildlich für das, was die Demokrat*innen bei der kommenden Wahl erreichen müssen. Aber auch dafür, woran es beim letzten Mal gescheitert ist – Zusammenhalt. 

In Großbritannien war es Tony Blair, der die damalige Labour Partei gemeinsam mit dem deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder und seiner Sozialdemokratischen Partei Deutschlands mit dem Neoliberalismus bekannt machte. Bestehende Sozialleistungen wurden gekürzt, der Sozialstaat abgebaut und Sicherheiten, die lange Bestand hatten und von denen besonders das damalige Wähler*innenklientel von Labour und SPD profitierten, wurden ihnen unter den Füßen weggerissen. Verschlanken, effizienter machen und Vereinfachen war auch die Formel, die Bill Clinton in die Tricolore der Regierungen der späten 1990er einreihte. Die Parteien, sei es nun im United Kingdom, in der Bundesrepublik Deutschland oder in den Vereinigten Staaten, ließen Federn und verloren Wähler*innenstimmen an Stellen, die für sie entscheidend waren. Koalitionsbildung konnte nur in einem Fall nochmals erfolgreich betrieben werden – bei Obama in 2008 und 2012, bedingt durch eine tief greifende ökonomische Krise und die erzwungene Disruptivität seiner damaligen Kampagne. Hierin spiegelt sich die aktuelle Verfassung der Demokratischen Partei, aber auch jeglicher politisch linken Partei weltweit wider. 

Während sich auf der Bühne im Laufe der Watch Party die innerparteilichen Gräben immer weiter auftun. Während sich Joe Biden und Bernie Sanders jeweils an den Kopf werfen, politisch fatale Einstellungen zu haben, sich aber persönlich sehr nett zu finden. Während sich die einzigen beiden Frauen*, die aussichtsreich im Rennen um die Nominierung der Demokratischen Partei verblieben sind, gegen vermeintlich meinungsstarke Männer durchsetzen müssen und während ich mich die ganze Debatte durchweg frage, wie ein Mann ohne politische Erfahrung wie Tom Steyer es bis auf diese Bühne geschafft hat – spiegeln sich in den Aussagen der Debattierenden starke Risse wider. Risse, die aus einem anderen Jahrhundert zu stammen scheinen. Bei denen es allerdings fraglich ist, ob kommende Generationen demokratischer Politiker*innen diese kitten werden können. 

Gehen wir etwas weiter zurück – um genau zu sein, zur letzten Debatte um die demokratische Nominierung im Jahr 2019. Bei dieser Debatte waren noch zwei junge Kandidaten auf der Bühne – Andrew Yang und Pete Buttigieg. Lustig gemacht wurde sich insbesondere von den beiden dezidiert links auftretenden Kandidat*innen, Elizabeth Warren und Bernie Sanders, über die Art und Weise, wie der ehemalige Bürgermeister aus South Bend versuchte, für seine Kampagne Gelder einzutreiben. Bei einem exklusiven Dinner in einer Weinhöhle. So lud Buttigieg reiche und einflussreiche Sponsor*innen der Demokratischen Partei zu einem Fundraising in ein teures Lokal ein, und der Mythos der Weinhöhle, über den sich die Partei lustig machen konnte, war geschaffen. Doch was ist so ungewöhnlich hieran? Wäre diese Handlung in einer Debatte um die amerikanische Präsident*innenschaft vor 20 Jahren auch bereits ein Angriffspunkt gewesen? Meine These lautet: Nein. 

Buttigieg ist zwar ein junger Kandidat – durch sein Verhalten allerdings ganz klar einer vom alten Schlag. Die Debatte um die Zukunft der Demokratischen Partei wird in der aktuellen Generation zwischen Joe Biden und Bernie Sanders ausgefochten. Biden ist ein Kandidat, der zum sogenannten „Establishment“ der Partei gehört. Zu denjenigen Machtzirkeln, die über lange Zeit die politische Linie der Partei und den Mitte-Kurs des liberalen Amerika prägten. Sanders hingegen ist derjenige, der nie zu besagter Gruppe gehören wollte. Ein selbst erklärter demokratischer Sozialist aus dem Kleinstaat Vermont. Während der Proteste um 1968 mehrfach aufgrund von zivilem Ungehorsam verhaftet. Ein Original, wie manche sagen. Und vor allem ein solches, das aktuell ein Momentum hat. Während des New Deal unter Franklin Delano Roosevelt profilierte sich die Demokratische Partei erstmals als diejenige der „kleinen Leute“, als die Partei, die sowohl für den „White Working Man“ als auch für die Rechte amerikanischer Minderheiten eintrat. Die aktuelle Mischung der letzten 20 Jahre – ziemlich genau seit Bill Clinton – lautet allerdings weniger Regulierung – mehr Freiheiten. 

Somit artikuliert Sanders einen Wunsch, den viele Amerikaner*innen ja bereits mit der Wahl von Donald Trump geäußert haben. Sie wünschen sich eine Demokratische Partei (vielleicht sogar ein Amerika) vor der Implementierung des Neoliberalismus zurück. Sanders ist keineswegs ein geringerer Populist als Donald Trump. Nur eben einer des demokratisch freiheitlichen Spektrums. Ihm ist es nicht daran gelegen, die Rechte von Minderheiten einzuschränken, oder Leute aufgrund ihrer Hautfarbe zu diskriminieren. Er sucht den Backshift an einem anderen Ende: am Ende der ökonomischen Skala. Doch eins ist sicher: Ihm wird die Zukunft der demokratischen Partei nicht gehören. Mit nunmehr 80 Jahren verabschiedet er sich aller Voraussicht nach im Anschluss an die nächste Station. Was allerdings bleiben wird, ist sein Momentum. 

Was in der alten Generation Biden und Sanders verkörpern, sind für die Zukunft die junge Kongressfrau AOC und der aktuelle Kandidat auf die Präsidentschaft – Mayor Pete. Brüche innerhalb einer Partei sind stets mit Personen verbunden. Wie man hier allerdings sehr gut und eindeutig sehen kann, nicht nur mit Personen. 

Wer das Rennen machen wird, wage ich nicht zu prognostizieren – weder für die Vorwahl beziehungsweise Präsidentschaft in diesem Jahr, noch für die Zukunft der Demokratischen Partei. Was mir allerdings sehr stark aufgefallen ist – und nun kommen wir zurück in die Valencia Street – ist der Linksruck der Demokratischen Partei. Fraglich ist nun, ob sich die Kandidat*innen bei ihren antimilitaristischen und keynesianischen Versprechungen nach dem Mainstream der Demokrat*innen, oder aber nach einer lauten Minderheit richten. Eins ist klar: Eine Mehrheit für Universal Healthcare, die Umverteilung von Reichtum und die Einschränkung der Waffenrechte ließen sich in der Bevölkerung finden. Transformationen, die dieses Land meines Erachtens nach dringend braucht. 

Heute – am Abend des 03. Februar – werden wir einen ersten Stimmungstest bekommen. 


Zum Autor: Leon Billerbeck ist 23 Jahre alt und Politikwissenschaftler in Ausbildung. Seit seiner Schulzeit verliebt in die Vereinigten Staaten von Amerika. Auf zahlreichen Forschungsreisen in den USA gewesen: Sowohl im konservativen Heartland, als auch an der liberalen Küste.

Bildquelle: Democratic Primary Debate Participants June 27, 2019. DonkeyHotey. CC 2.0.

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