Es gibt einige Studien, die sich mit dem Unterschied zwischen Geschlechtern beschäftigen. Ein Resultat, das ich besonders amüsant finde: Die Annahme, dass Männer sowohl intelligenter als auch dümmer sind als Frauen. Nicht nur – aber auch – was Intelligenz angeht: Männer bilden sowohl das untere als auch das obere Ende der Gesellschaft, während Frauen tendenziell zur Mitte tendieren. Männer hingegen bewegen sich eher an Extrempunkten.
Ob das nun stimmt oder nicht: Ich glaube, so ist es auch mit dem Rest der Welt und den Amerikanern. Und ganz besonders mit dem amtierenden Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika: Donald J. Trump, dem Mann der Extreme.
Was auch immer das Thema ist, man findet in der Regel sowohl die klügsten als auch die dümmsten Beiträge dazu von Amerikanern. US-Amerikanern, that is. Auf der einen Seite fördert das politische und wirtschaftliche System der USA Exzellenz und Elitenbildung, wovon die Menschheit schon oft profitiert hat – sei es durch geopolitische Entscheidungen großer Auskenner oder durch unglaubliche Fortschritte in der Wissenschaft an Top-Universitäten. Auf der anderen Seite muss man auf Twitter Dinge lesen, die sogar die dümmsten Mitteleuropäer als Bullshit erkennen müssten.
Allerhand Unfug
So kann man im Internet jetzt einige absurde Meldungen zur Coronakrise lesen. Sozialismus sei das Problem, heiße es da. Immerhin hätte Italien socialized medicare, und man sieht ja, wie das ausgegangen ist. Dort sterben die Leute. Demokraten sind also aktiv dafür, dass Leute sterben. Sie fordern den Tod! Nur Donald Trump kann uns retten! Oder irgendwie so.
Als privilegierter Mitteleuropäer, der ich bin, ist es momentan durchaus absurd zu beobachten, wie sehr Menschen die größten Nachteile ihres Landes abfeiern können, obwohl sie die Krise schon im Ansatz sehen müssten. Wir kennen das vom Waffenthema – eine Waffe zu kaufen, das sei Freiheit, und das sei schon mal wert. Immerhin könnte man sich gegen die Regierung werden, wenn sie tyrannisch wird. (You do realize the government has drones, right?) Muss man nicht verstehen, aber sie fühlen sich gut damit. Auch mit 417 Mass Shootings im Jahr.
Das meine ich mit den Extremen. Und das zeigt sich in den USA in allen Bereichen. Einerseits werden die besten Schüler und Studenten gefördert. Die Studiengebühren sind extrem, dafür gibt es aber auch die besten Unis. Die beste medizinische Versorgung der Welt! Aber sie steht eben nicht jedem offen. Wer es nach oben schafft, kann in Amerika sehr gut leben – vermutlich so gut in keinem anderen Land. Aber dafür es gibt viele, die auf der Strecke bleiben. Freedom is not free, right?
Das System bröckelt
Das amerikanische Sozialsystem ist Ausdruck eines gesellschaftlichen Modells, das uns Europäern oft fremd ist. Emotional ist das keine einfache Angelegenheit. Über falsche politische Entscheidungen kann man sich als Zyniker normalerweise amüsieren, wie die monatelange Stimmung auf dem Kontinent rund um den Brexit zeigte. Aber in den USA kann es sein, dass in den nächsten Wochen und Monaten unzählige Menschen sterben, weil man eine Politik verfolgt, die auch in kapitalistischen europäischen Staaten schon lange geändert wurde. Spätestens wenn Bürger sterben, die damit nichts zu tun haben und einfach nur leben wollten, vergeht einem das letzte zynische Lachen.
Wie erklärt man Amerikanern, dass es nichts mit Freiheit zu tun hat, wenn man sich die Behandlung in einem Krankenhaus nicht leisten kann? Wie erklärt man, dass es falsch ist, wenn Menschen krank zur Arbeit kommen müssen, weil sie sonst ihren Job verlieren? Was muss man überhaupt erklären, wenn Bürger Angst haben, wie sie ihr Kind ernähren sollen, wenn eine Mahlzeit am Tag in der Schule wegfällt? Vom Standpunkt eines Liberalen in einem gut ausgebauten Sozialstaat wirken die USA momentan wie ein verdammtes Irrenhaus.
Normalerweise fühlt sich das anders an. Normalerweise schaut man in die USA und belächelt zwar ihre dümmsten Extreme, aber versteht irgendwie doch, warum die Dinge so sind, wie sie sind. Aber die Corona-Krise stellt das System der Extreme auf die Probe. Wenn jene, die nicht zu den sogenannten „Leistungsträgern“ gehören, zur Spitze ihres Fachs, nicht in der Lage sind, für ihr eigenes Überleben zu zahlen – hält dieses System das aus? Wenn die Reichen und Berühmten zuerst getestet werden, während die Quarantäne-Zonen in ökonomisch schwachen Gegenden gebaut werden – hält es das aus?
Was jetzt – und später – wichtig wäre
Mein Gefühl ist, dass kaum ein Land in der westlichen Welt schlechter auf das Coronavirus vorbereitet ist als die USA. Und das liegt nicht nur, aber auch an ihrem Präsidenten. Dass man Social Security in zu hohem Ausmaß geopfert hat, um Exzellenz zu fördern, könnte den Amerikanern jetzt wirklich auf den Kopf fallen – und das nicht in einem zynischen „ha ha“-Ausmaß wie bei der Brexit-Verschiebung, sondern durch eine große Zahl an Toten, die für das Land bis vor Kurzem noch unvorstellbar schien.
In einer alternativen Realität hat Bernie Sanders 2016 gewonnen und Medicare ausgebaut. In dieser Realität muss man sich über viele andere Dinge Sorgen machen, aber nicht darüber, dass man sich die Behandlung einer Lungenentzündung nicht leisten kann. Aber das ist jetzt nur zweitrangig. Wichtig ist jetzt, dass die USA ihr Krisenmanagement in den Griff kriegen, um weitere Tote zu verhindern so gut es geht. Erste Maßnahmen, die direkt aus dem Programm der Demokraten kommen könnten, sind schon gesetzt: Neben Social Distancing und Gratis-Tests wird sogar eine Art Grundeinkommen diskutiert – wenn auch nur vorübergehend, versteht sich.
Es bleibt zu hoffen, dass diese Maßnahmen ausreichen. Stand jetzt haben wir in den USA bereits über 25.000 Infizierte und 350 Todesopfer. In einem Land ohne socialized healthcare, in dem die Bürger nach Parteigrenzen entscheiden, wie ernst sie die Gefahr nehmen, könnte sich das Virus noch verheerender auswirken als in Italien.
Zur Erinnerung: Das ist das Land, in dem alleine gestern 800 Menschen gestorben sind.
Bleibt außerdem zu hoffen, dass – wenn das alles vorbei ist – die US-Amerikaner vielleicht auch mal einen Blick über den Teich riskieren, um zu sehen, dass es sich auch ohne dieses System der Extreme ganz gut (über)lebt.
Titelbild: iXimus. Pixabay. CC 2.0.
Gastautor Stefan Schett ist ein Liberaler zwischen den Stühlen. Der frühere Journalist berät heute Kunden in PR- und Social Media-Themen für Milestones in Communication und bloggt auf derschett.at.
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