Transatlantiker zu sein ist nicht immer einfach. In diesen Tagen ist es auch nicht mehr so easy, jung zu sein. Das Corona-Virus, dass die meisten jungen Menschen aus medizinischer Sicht eher verschont, fördert in dieser Woche so einige merkwürdige Reflexe zu Tage.
Auf beiden Seiten des Atlantiks spielten sich Szenen ab, die an der Zurechnungsfähigkeit unserer Generation berechtigte Zweifel aufkommen ließen: „Corona-Parties“ im Englischen Garten zu München, Club-Betrieb as usual in Berlin, erschreckende Unwissenheit in Interviews. Obwohl die meisten brav zuhause bleiben, und eine überwältigende Mehrheit von jugendlichen und jungen Erwachsenen beruflich und ehrenamtlich zur Bewältigung der Gesundheitskrise beiträgt, blieben die Reaktion nicht aus: „Die Jungen“, so schimpft man, gefährden nicht nur sich selbst, sondern vor allem die älteren und chronisch Kranken Mitbürger; Nachbarn, Eltern, Großeltern. Unvernunft und Leichtsinn werden so zum neuen Markenzeichen einer Generation, die noch vor wenigen Wochen eine ganz neue Art von Spießigkeit zu fordern schien. Stichworte Scham, Verzicht, Verbot. Natürlich ist das alles nicht so einfach, und unsere Generation ist vor allem eins: uneins.
Den Vogel abgeschossen haben aber unsere Altersgenossen in den USA. Dort ist zurzeit „Springbreak“, also Frühlingsferien an den Unis, und unter normalen Umständen ist das zwar nicht jedermanns, aber doch eine ziemlich geile Sache. Die Stände Floridas werden zu einem riesigen Ballermann. Und wer’s mag, kann’s genießen. Und der Wechsel von Konsumieren und Kopulieren hat ja was für sich und ist in dieser Dimension fast schon Kunst.
„If I get corona, I get corona“
Im Jahr 2020 jedoch stehen die Dinge ein bisschen anders. Den Warnungen aller Experten zum Trotz haben sich zehntausende junger Amerikaner und Amerikanerinnen in der Sonne zusammengerottet, um zu feiern. Dabei wurden sie zu massenhaften Überträgern des für Ihre Angehörigen gefährlichen Virus, dass sie – ganz im Sinne der US-amerikanischen Mobilität – nun in sämtliche Bundesstaaten exportieren werden. Zum traurigen Helden wurde ein junger Student aus Ohio, Brady Sluder. Sein Bekenner-Video, inklusive des berühmten Zitats “If I get corona, I get corona. At the end of the day, I’m not gonna let it stop me from partying”, wurde in den sozialen Netzwerken inzwischen fast 20 Millionen Mal angeklickt. Trunkenheit und Sonnenbrand unterstützen bei der Einordnung des Ganzen, machen es aber nicht besser. Wärs nicht so traurig, könnte man lachen. Die Appelle zeigten aber kaum eine Wirkung. Also sahen sich die Behörden gezwungen, den Springbreak in Florida nun endgültig zu canceln.
“If I get corona, I get corona. At the end of the day, I'm not gonna let it stop me from partying”: Spring breakers are still flocking to Miami, despite coronavirus warnings. https://t.co/KoYKI8zNDH pic.twitter.com/rfPfea1LrC
— CBS News (@CBSNews) March 18, 2020
In diesen Tagen denke ich oft an das Buch „Liebe in Zeiten der Cholera“ von Gabriel García Márquez, Sie können sich ja denken, warum, der Titel drängt sich praktisch auf. Ein Zitat aus dem Buch lautet: „Menschlichkeit, wie Soldaten auf dem Schlachtfeld, kommt immer nur mit der Geschwindigkeit des Langsamsten voran.“ Deshalb sind gerade jetzt, gerade in freien Gesellschaften, wirklich alle gefordert, ihren Beitrag zu leisten. Es ist nun an der vernünftigen Mehrheit in dieser neuen Generation auf beiden Seiten des Atlantiks, ihre Lehren aus dieser Situation zu ziehen. So geht’s jedenfalls nicht. Ich wünsche mir, dass wir in den nächsten Jahren bitte hart Party machen, aber auch Gemeinsinn und Verantwortung neu entdecken, wenn sie gefordert sind.
Historische Entscheidungen in der US-Politik
Den Gemeinsinn entdeckt hat nun auch überraschender Weise das Weiße Haus und die Trump-Administration. Dazu gehört eine noch vor wenigen Wochen absolut undenkbare Entscheidung, die staatliche Absicherung in Gesundheitswesen für Arbeitslose auszuweiten. Das gehört nicht gerade zum republikanischer Repertoire und passt schon gar nicht in das sonstige Angebot von Donald Trump, ist nichtsdestotrotz ein gewaltiger und absolut richtiger Schritt in der momentanen Lage. Wer mehr über die Neuerungen im Gesundheitswesen wissen möchte, ist eingeladen, den fantastischen Gastbeitrag von Stefan Schett zu lesen. Absehbar scheint zu sein, dass Gesundheitspolitik im Wahlkampf eine größerer Rolle einnehmen wird, als bisher. Trumps Politikwechsel könnte daher auch als (wirksamer) Versuch zu sehen sein, den Demokraten das Thema im Wahlkampf nicht überlassen zu wollen.
Nun wurde in den USA ein Corona-Schnelltest zugelassen, der die massive Ausweitung der Testung ankurbeln soll – eine Strategie, die in asiatischen Ländern Wirkung gezeigt hat. Scheinbar schielt man im Weißen Haus momentan auf den Pazifik. Denn auch die Außen- und Sicherheitspolitik ist nicht immun gegen die aktuelle Situation. So hat der US-Präsident sich erst heute an Nordkoreas Machthaber Kim-Jong Un gewandt, um ihm eine Verbesserung der Beziehungen zwischen beiden Ländern anzubieten. Es bleibt abzuwarten, wie die Reaktion ausfallen wird. Schnelle Hilfe ist gerade aus dem international isolierten Staat nicht zu erwarten, obwohl die Weltgemeinschaft durchaus gefordert ist, nun zusammenzustehen.
Denn Corona erfasst inzwischen die ganze USA: Während viele Bundesstaaten Ausgangssperren verhängen, bleiben die berühmten Casinos von Las Vegas geschlossen und viele Prominente in ihren eigenen vier Wänden, von wo aus sie die Bevölkerung teils vorbildlich, teils äußerst merkwürdig unterhalten. Unnötig zu sagen, dass der Lockdown gerade in Amerika die Feme-Produktion ankurbelt, die sich als einziges noch schneller als das Virus verbreiten. Have a look at Trevor Noah von der Daily Show, der versucht, italienische Resilienz zu implementieren:
Wir von Transatlantic Takes wünschen Ihnen einen guten Start in die Woche. Bleiben Sie nach Möglichkeit zuhause, und bleiben Sie vor allem: gesund.
Foto: Wendy Wei (https://www.pexels.com/de-de/@wendywei)