Kaum drei Wochen ist es her, dass die Democratic Primaries und das Rennen um das Weiße Haus die Nachrichten dominierten. Nun, da Covid-19 viele Länder der Welt in Atem hält, scheint die Wahl im November vorerst in weite Ferne gerückt. Die gegenwärtige Pandemie hat nicht nur zur weltweiten, drastischen Einschränkung von Bürger- und Freiheitsrechten geführt, sondern sie offenbart auch wie kaum eine andere Krise die eklatante Führungsschwäche des US-amerikanischen Präsidenten Donald Trump. Zuerst behauptete er, das Virus werde wie ein Wunder verschwinden. Entgegen aller Expertenmeinungen versicherte er, die herkömmliche Grippe sei schlimmer als Covid-19. Dann erläuterte er, dass die Krise überraschend gekommen sei, obwohl er schon im Januar beteuerte, die USA hätten alles unter Kontrolle.
Mit seinem pathologischen Hang zur Lüge gefährdet Trump nun die Gesundheit seines Volkes. Als wäre das noch nicht gefährlich genug, kommen dazu auch die strukturellen Schwächen des US-Gesundheitssystems. Da es in den USA keine nationalstaatliche Verpflichtung der Arbeitgeber gibt, auch im Krankheitsfall den Lohn fortzuzahlen (paid sick leave), ist es wahrscheinlicher, dass Arbeitnehmer auch bei Krankheitssymptomen zur Arbeit gehen und in Abwesenheit eines Lockdowns – Trump wollte ja schon ab Ostern zur Normalität zurückkehren – zur Verbreitung von Covid-19 beitragen. Von denjenigen die garnicht krankenversichert sind, ganz zu schweigen. Insgesamt ist es also ziemlich wahrscheinlich, dass die Entwicklung der Pandemie möglicherweise drastischer ausfallen wird, als dies in Europa der Fall ist. Den unrühmlichen Rekord der meisten Infizierten haben die USA nun ja schon erreicht.
Dass Trump nicht nur mit der Wahrheit auf Kriegsfuß steht, sondern auch ein fragwürdiges Moral- und Werteverständnis aufweist, bewies er erst am Mittwoch trefflich. In ironischer Manier twitterte Trump, er sei nach dem negativen Covid-19 Test des früheren Obama-Konkurrenten Mitt Romney, den Trump als RINO („Republican In Name Only“) diffamierte, so glücklich, dass ihm die Worte fehlten. Wer es bisher noch nicht wusste, weiß es spätestens jetzt: Jemand wie Donald Trump sollte in Krisenzeiten kein Amt innehaben.
Trotz Corona sollte man die Wahlen im November daher weiterhin im Blick behalten. Nach einigen Tagen der Funkstille der beiden Kandidaten Biden und Sanders sei daran erinnert, dass auch die Democratic Primaries immer noch laufen. Sanders – manche nennen ihn das andere Extrem zu Trump – freute sich im Wahlkampf bisher stets über die Nervosität, die er im Land verursache: auf der Wallstreet, bei Versicherern, bei Pharmaunternehmen, bei Trump, beim Establishment der Democrats und, natürlich, bei Milliardären. Was vor einigen Wochen für viele noch attraktiv aussah, wirkt nun irgendwie fehl am Platz – denn Nervosität und Angst gibt es im Zeichen der Pandemie reichlich. Dass Sanders sich nach den deutlichen Siegen von Joe Biden am Super Tuesday vom 3. März noch als Trumps Herausforderer durchsetzen kann, gilt als äußerst unwahrscheinlich. Schon alleine deswegen sollten die Democrats der Staaten, in denen noch nicht gewählt wurde, die Wahlen zügig durchführen und sich dabei die Alaska Democrats zum Vorbild nehmen, indem sie die Primaries ausschließlich per Briefwahl durchführen.
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— Alaska Democrats (@AlaskaDemocrats) March 26, 2020
Mein Verhältnis zu den Vereinigten Staaten von Amerika ist ein persönliches. Die Vereinigten Staaten sind für mich Heimat und Herkunft, Familie, Freunde und Lebensgefühl. Kein anderes Land prägte die gegenwärtige internationale Ordnung stärker als die Vereinigten Staaten. Gerade in Europa sollten wir uns die historische Bedeutung des transatlantischen Bundes häufiger vergegenwärtigen, auch wenn dies aktuell manchmal schwerfällt.
Für Amerika wünsche ich mir einen Präsidenten, der es vermag das Land in all seiner Vielfalt zu vereinen. Der sich in seiner politischen Positionierung nicht von den Rändern leiten lässt. Einen Präsidenten, der es dem Land ermöglicht, zu einem Zustand der Normalität zurückzukehren. Der in der Lage ist, auf schrittweise Fortschritte in all den Angelegenheiten zu drängen, die Democrats und Republicans gleichermaßen am Herzen liegen. Ein Präsident, der auf Experten wie Ärzte und Virologen hört. Ein Präsident, der nicht bei fast jedem Fernsehinterview und jeder Pressekonferenz lügt. Ein Präsident, der sich zum Multilateralismus bekennt und in der Krise einen kühlen Kopf bewahrt.
Amerikaner und Transatlantiker täten jedenfalls gut daran, in der Corona-Krise nicht den November 2020 zu vergessen – und im November 2020 nicht die Corona-Krise.