Krisenzeiten – das sind stets die Zeiten der Exekutive. Das schrieb uns ein aufmerksamer Leser von Transatlantic Takes kürzlich in die Kommentarspalte. Und damit sind wir auch schon bei unserem transatlantischen Update der Woche angekommen: Herzlich Willkommen zu unseren Weekly News, die sich – wie bereits zuletzt – vor allem um eines drehen: COVID-19.
Bevor wir jedoch einmal mehr mit furchtbaren Prognosen und den bereits bekannten Durchhalte-Hashtags aufwarten, möchte ich Ihnen diese Woche besonders viel Kraft und Gesundheit wünschen. Zur Gesundheit, das wissen nicht nur Therapeuten, gehört vor allem die Fähigkeit zur Empathie, die in Zeiten von Social Distancing besonders leiden dürfte. Zur Gesundheit gehört jedoch auch ein kritischer Geist, der Gut von Böse und Wahrheit von Lüge unterscheiden kann.
„Das erste Opfer eines jeden Krieges ist die Wahrheit.“
Dass das erste Opfer eines jeden Krieges die Wahrheit ist, das wusste schon Hiram Warren Johnson, seiner Zeit US-amerikanischer Politiker der Republikanischen Partei. Er war von 1911 bis 1917 Gouverneur von Kalifornien und vertrat anschließend bis 1945 diesen Bundesstaat im US-Senat. Er gehörte zu den führenden Persönlichkeiten der progressiven Bewegung der USA.

Doch nicht nur in Kriegs-, nein auch auch in Krisenzeiten liegen Wahrheit und Lüge oft gefährlich nahe beinander. Krisenzeiten sind nicht nur Zeiten der Exekutive, sondern auch Zeiten kollektiver Furcht. Ohne Zweifel rücken Menschen, die sich bis vor kurzem noch spinnefeind gegenüber standen, im Angesicht kaum zu bewältigender Krisen plötzlich dicht zusammen. Kaum zu überbrückende Differenzen scheinen plötzlich so „nichtig und klein“, wie sich Richard Mey das Leben über den Wolken vorgestellt hat. Und damit sind wir schon mittendrin beim Thema.
Immer dann, wenn der Commander-in-Chief in Krisenzeiten versagt, besteht die Chance auf einen raschen Regierungswechsel. Wir erinnern uns an das Missmanagement des Hurricanes Katrina, das vermutlich das „Beginning of the End of George W. Bush“ einläutete. Obwohl bereits recht früh klar schien, dass dieser Hurricane sehr verheerende Auswirkungen haben würde, unterbrach Bush der Jüngere seinen Urlaub erst am dritten Tag, was von vielen Beobachtern als deplatziert eingestuft wurde. Da noch Tage nach dem Sturm Zehntausende in der Stadt auf Hilfe warten mussten, beschuldigte der Bürgermeister von New Orleans, Ray Nagin, in einem Interview mit dem Sender WWL-TV damals in drastischen Worten die US-Regierung, im Krisenmanagement deutlich versagt zu haben.
Damit Joe Biden die Gunst der Stunde nutzen könnte, müsste er jedenfalls erstmal selbst wieder in die Gänge kommen. Auch finanziell. Eben wurde in den USA noch darum gekämpft, wer im November Donald Trump herausfordern wird. Und jetzt? Das Virus bestimmt den Wahlkampf. Oder das, was davon übrig ist. Zudem drängt die Corona-Krise den US-Vorwahlkampf vollends in die Sozialen Medien. Da aber hat der Demokrat Joe Biden kaum Kompetenzen, wie der Tagesspiegel schreibt.
Kompetenzen haben wir bei Transatlantic Takes dafür vor allem in der messerscharfen Analyse von Joe Bidens Wahlkampfauftritten. Und die sind äußerst dürftig: Im direkten Duell gegen Donald Trump wirkt Joe Biden immer öfter farblos. Er vergisst, in welchem Bundesstaat er spricht und sagt Dinge wie „That’s why I’m running for Senate“. Man merkt ihm eben sein Alter an. Warum die Demokraten mit der Nominierung von „Uncle Joe“ denselben Fehler machen wie vor vier Jahren mit Hillary Clinton, hat unser Autor Stefan Schett in einem Op-Ed für Transatlantic Takes aufgeschrieben. Fingers Crossed: Unser Must-Read der Woche.
Timothy Randall ist das neueste Mitglied in unserer Redaktion. Aufgewachsen in einem kleinen Ort in Sachsen – als Sohn seines amerikanischen Vaters und seiner ostdeutschen Mutter – hat er Amerika nicht nur als das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, sondern auch als Land der Freiheit kennengelernt. Freiheit – das ist in Zeiten von weltweiten Krisen ein kostbares Gut. Externe Bedrohungen lassen Herrscher und Beherrschte oft zu einem festen Körper verschmelzen. Besonders autoritäre Führungspersönlichkeiten wissen dies geschickt für sich zu nutzen, um in einem für sie günstigen Moment unliebsame, individuelle Abwehrrechte gegen den Staat einzukassieren. Wenn der kleinste Widerspruch an herrschenden Regierungspraxen in bester Blockwart-Manier als Verrat tituliert wird, hat der geschickte Agitator es geschafft, all jene zu Volks- und Staatsfeinden zu erklären, welche sich nicht kritiklos den neuen Postulaten der Sicherheit unterordnen zu gedenken.
So hat der ungarische Meister der Krise, Premierminister Viktor Orban, die Gunst der Stunde genutzt, um das Parlament nun endgültig zu entmachten. Das Russland Vladimir Putins will als Maßnahme zur besseren Überwachung von Corona-Infizierten eine Foto-Datenbank der Patienten anlegen. Sollte ein Test positiv sein, werde direkt danach ein Foto des Infizierten gemacht. Ausgangssperren werden bereits jetzt mittels strengster Videoüberwachung kontrolliert. Auch in meinem Geburtsland denkt man darüber nach, jeden Staatsbürger dazu zu zwingen, digitale Applikationen auf ihre Handys zu installieren, um ein lückenloses Tracking zu ermöglichen. Mit Blick auf die kommenden Osterferien wurde zudem ein Erlass verabschiedet, demnach Treffen in einem geschlossenen Raum, an denen mehr als fünf Personen teilnehmen, die nicht im selben Haushalt leben, untersagt sind. Drohen nun bald willkürliche Hausdurchsuchungen wie man sie nur aus illiberalen Demokratien kennt? Ein Schelm, wer böses dabei denkt. Der unfreie Bürger in Angst dankt es jedenfalls mit Zustimmung. So scheint auch Donald Trump die Trendumkehr zu schaffen und darf auf höhere Zustimmungswerte hoffen.
Krisenzeiten sind stets auch Zeiten der Desinformation. So behauptet Chinas Außenamt nach wie vor, US-Militärs könnten das Coronavirus nach Wuhan gebracht haben. Schon am 2. Februar sprach die Weltgesundheitsorganisation WHO von einer massiven „Infodemie“. Das Übermaß an Informationen – wahre und falsche – mache es den Menschen schwer, vertrauenswürdige Quellen zu finden. Auf der auch von uns besuchten Münchner Sicherheitskonferenz legte WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus nach: „Fake-News verbreiten sich schneller und leichter als das Virus – und sind genauso gefährlich.”
Das dachte sich vermutlich auch Berlins Innensenator Andreas Geisel, als er der USA einen „Akt moderner Piraterie“ unterstellte. Einem Sprecher Geisels zufolge hatte ein Händler von Schutzmasken behauptet, eine Lieferung von Schutzmasken sei aufgrund einer US-Direktive storniert und das Flugzeug in die USA umgeleitet worden. Wie ein Sprecher der Berliner Polizei dem „Tagesspiegel“ sagte, könne von „Konfiszieren“ jedoch keine Rede sein. Die Polizei habe die Masken bei einem deutschen Zwischenhändler verbindlich bestellt, dieser habe die Ware dann offenbar in die USA umgeleitet. Der Fraktionsvorsitzende der CDU Berlin, Burkhard Dregger, vermutete vielmehr einen klassischen Akt der Desinformationdes Berliner Senats. Man suche, „einen Schuldigen, um seine eigene Unfähigkeit bei der Beschaffung von Schutzausrüstungen zu verschleiern. Er hat für die Krise nicht vorgesorgt. Und jetzt zeigt er sich nicht in der Lage, in der Krise Material zu beschaffen.“

Gefährlich ist es auch, wenn Herrschende willkürlich darüber verfügen können, was Fake ist und was nicht. Besonders dann, wenn Ausgangssperren dazu missbraucht werden, Demokratie und Freiheitsrechte, anstatt die Ausbreitung einer globalen Pandemie zu bekämpfen. So wurde am Mittwoch die serbische Journalistin Ana Lalić festgenommen, weil sie über die bedenklichen Zustände im Krankenhaus in Novi Sad berichtet hatte, wo es offenbar zu wenig Schutzkleidung für Pfleger gibt. Das Land geht damit per Notstandsregelung mit drakonischen Strafen gegen jene vor, die sich nicht an die Corona-Maßnahmen halten und es wagen, Kritik an der zentralisierten Informationspolitik des serbischen „Big Governments“ zu üben.
Und weil ich mich als Editor-in-Chief von Transatlantic Takes in bester beruflicher Manier solidarisch wähne mit Journalisten, Dissidenten und Künstlern, die von ihren unveräußerlichen und gottgegebenen Menschenrechten Gebrauch machen, möchte ich diese Woche mit einem für mich besonderen Musikstück eines meiner Lieblingskünstler schließen.
In Zeiten von Quarantäne und Isolation bietet es sich geradezu an, in den Wäldern spazieren zu gehen, um nicht nur Frischluft, sondern auch Abstand von der alltäglichen Schreckensflut an Nachrichten ergattern zu können. Aaron Lewis, der jüngeren Lesern und Leserinnen noch als emotionaler Hardrocker der US-amerikanischen Band Staind ein Begriff sein könnte, hat vor rund zehn Jahren einen Song rausgehauen, der mir bis heute im Kopf geblieben ist. „Country Boy“ ist eine wunderbare Ballade über eine Jugend in Longmeadow, Massachussets und seine von traditionellen US-amerikanischen Werten geprägte Erziehung und Weltanschauung.
So heißt es in Strophe drei:
Now, two flags fly above my land that really sum up how I feel
One is the colors that fly high and proud, the red, the white, the blue
The other one’s got a rattlesnake with a simple statement made
„Don’t Tread On Me“ is what is says and I’ll take that to my grave
„Don’t Tread on Me“ – diesen Spruch kennen wir als Abbild der berühmt gewordenen Gadsden-Flag aus der Zeit der Amerikanischen Revolution, die auf einem gelben Grundfeld eine sich zum Zubeißen aufrichtende Klapperschlange zeigt. Die Flagge wurde nach dem US-amerikanischen General und Politiker Christopher Gadsden benannt, der diese auch entworfen hat.

Während die Gadsden flag eine der ersten bekannten Flaggen der 1776 unabhängig gewordenen Vereinigten Staaten war und erst später durch die Stars and Stripes abgelöst wurde, steht sie bis heute symbolisch nicht nur für Patriotismus, sondern viel mehr noch für Regierungskritik und Unterstützung der US-Verfassungsrechte. Auch außerhalb der USA steht sie für eine staatsfreiheitliche und liberale Denkweise, welche jede Einschränkung der Freiheit zu Gunsten des Staates – ganz gleich, ob wirtschaftlich, gesellschaftlich oder kulturell – kritisch beäugt.
Und genau das möchte ich Ihnen, liebe Leserin und Leser, in Zeiten dieser globalen Krise ans Herz legen. Lassen Sie sich nicht hinters Licht führen. Lassen Sie sich nicht auseinander dividieren. Bleiben Sie skeptisch, wenn es heißt, dass exzessive Anwendung von Zwangsmaßnahmen „alternativlos“ wären. Misstrauen Sie jenen, welche die Krise dazu nutzen wollen, waghalsige Experimente mit so wichtigen Errungenschaften wie Versammlungsfreiheit und Pressefreiheit durchzuführen.
Bleiben Sie gesund, bleiben Sie Zuhause, aber bleiben Sie zurecht kritisch in der Sache. Und noch viel wichtiger: bleiben Sie uns weiterhin als Leserin und Leser erhalten.
Titelbild: „Don’t Tread on me“-Fahne. Wallpaper-Flare. CC 2.0.