Jetzt ist auch der Handel infiziert

Bloß keinen falschen Stolz: Jeder Angriff aus dem Weißen Haus, ganz gleich ob begründet oder nicht, trifft mich als Transatlantiker besonders. Auslöser war allzu oft das Thema Handel, welches eine außerordentliche Belastung für die transatlantischen Beziehungen darstellt. Deutschland musste hierbei als Lieblingsboxsack Washingtons herhalten.

Eines muss klar sein: Eine intrinsisch-idealistisch motivierte Besserung der transatlantischen Beziehungen ist weiterhin nicht in Sicht. Was aber bleibt, ist die Möglichkeit, sich immer wieder an externen Events festzuhalten und deren Einfluss auf die Beziehung zu prüfen. Und auch wenn ich das Mantra „Chancen der Krise“ langsam nicht mehr hören kann: Mit dem virusbedingten Druck auf die transatlantischen Volkswirtschaften könnte sich tatsächlich eine neue Tür öffnen. Oder wie Antoine Saint-Exupéry schrieb: „Um klar zu sehen, genügt oft ein Wechsel der Blickrichtung.“

Denn erst während richtiger Krisen findet man – wenn auch meist unfreiwillig – wieder zusammen, erkennt plötzlich, was einen eigentlich verbindet, was man aneinander hat und was man alles gemeinsam erreichen kann. Wenn man will – oder wenn man muss! Alea iacta est – der Corona-Würfel ist geworfen.

Was bisher geschah

Das weltweit grassierende Corona-Virus SARS-Cov-2 bestimmt weiterhin das Weltgeschehen. Auf Platz 1 der am stärksten betroffenen Länder haben die USA inzwischen Italien mit einem rasanten Tempo überholt – am Ostersamstag wurde die Marke von einer halben Million übertroffen. Damit stellen die Vereinigten Staaten knapp ein Drittel der global Infizierten. Auf der anderen Seite des Atlantiks komplettiert Old Europe in diesem absurden Ranking die Top 5: Spanien, Italien, Frankreich und Deutschland (John Hopkins University).

Bei allen Unsicherheiten in Politik, Wissenschaft und der gemeinen Bevölkerung im Umgang mit dem Virus steht bereits eine Folge fest: Die Corona-Pandemie wird die beiden größten Volkswirtschaften der Welt in schwerwiegende Rezessionen stürzen. Global rechnet die WTO – je nach Szenario – in diesem Jahr mit einem Absturz des Welthandels um 13 bis 32 Prozent. 

Als Folge des Stillstands deutscher Wertschöpfungsstätten vom Alpenrand bis zur Nordseeküste gehen die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute mittlerweile von einer um -4,2% schrumpfenden Wirtschaftsleistung für das Jahr 2020 aus – davon historische -9,8% im zweiten Quartal. Die Abwärtsrisiken seien erheblich. Für die Eurozone könnte – laut Extremannahme mancher Experten – ein Einbruch der Wirtschaftsleistung um 10 Prozent zu erwarten sein.

Auch für die stark auf hohe (oftmals kreditfinanzierte) Konsumausgaben im Binnenmarkt fußende amerikanische Wirtschaft stellt die Pandemie einen herben Schlag dar. Während Goldman Sachs einen BIP-Rückgang in Höhe von 24 (!) Prozentpunkten in Q2 prognostiziert, spricht die Deutsche Bank bereits von „the worst global recession since World War II.“ 

It’s the Economy, Stupid!

Mit einer schrumpfenden Wirtschaft, zunehmenden Insolvenzanträgen, steigenden Arbeitslosenzahlen, mit den Hufen scharrenden Links- und Rechtspopulisten sowie entscheidenden Wahlen vor der Tür ist es nur eine Frage der Zeit bis der Druck auf die in Verantwortung stehenden Politiker ins Unermessliche steigt. Sie benötigen präsentable Lösungen und ökonomische Stimuli – sogenannte Quick Wins. Ganz nach dem britischen Schriftsteller Chesterton sitzen hierbei alle im selben Boot (…auf dem Atlantik). Mit Passagieren aus Washington, Berlin oder Paris. Da bleibt nichts anderes übrig, als fest zusammenzuhalten.

„Das Wort Krise setzt sich im Chinesischen aus zwei Schriftzeichen zusammen – das eine bedeutet Gefahr und das andere Gelegenheit.“ – John F. Kennedy

Früher oder später könnte es also wieder Zeit werden für eine Diskussion über eine transatlantische Freihandelsallianz – ohne gleich wieder das Chlorhühnchen aus der Mottenkiste zu holen. Die Kommission hat das Vertrauen und die formellen Mandate der EU-Mitgliedsstaaten. Zuerst einmal bedarf es einem schnellen Abschluss des Abkommens über Konformitätsbewertungen sowie eine Einigung über den Abbau von Industriezöllen. Auch wenn letzterem ante-Corona multifaktoriell noch wenig Aussicht auf Erfolg bescheinigt wurde, würde es nunmehr ein enorm wichtiges Signal für die Wirtschaft darstellen. 

Die Vereinigten Staaten sind weiterhin der wichtigste Handelspartner der Europäischen Union. Als Exportnation mit schwächelnden traditionellen Zugpferden Automobil und Maschinenbau dürfte das deutsche Interesse alles andere als gering ausfallen. Auch der Élysée-Palast dürfte hier bei einer schrumpfenden Wirtschaft mehr Flexibilität zeigen als bisher. Brüsseler Vorbehalte, wie etwa gegen Abkommen mit Staaten, welche nicht Teil des Pariser Klimaschutzabkommens sind (siehe Europäisches Parlament), werden weniger Gehör finden als zu der Zeit, in welcher unsere Freitage noch von klimastreikenden Schülern und nicht von Hamsterkäufen bestimmt wurden.

Für Trump stellt die wirtschaftliche Lage die größte Gefahr für seine direkte Wiederwahl dar. Diesem Ziel wird alles andere untergeordnet. Und so wird die US-Administration nichts unversucht lassen. Außenminister Pompeo fordert von Deutschland bereits einen „koordinierten Kick-off der Wirtschaft.“ Das vom US-Präsidenten prononciert aufgebaute wirtschaftliche Feindbild namens Europäische Union und Deutschland, verbunden mit einer Agenda des Protektionismus, konnte von Teilen der amerikanische Bevölkerung in Zeiten von Rekordbeschäftigung und in ungekannte Höhen ragenden Wall-Street-Kursen – wenn auch mit Unbehagen – noch als Sperenzien verziehen werden („well, it’s Trump!“). Doch in Zeiten von massivem Stellenabbau, halbierten Depots sowie ausbleibender Einzahlungen der Arbeitgeber in die Altersvorsorge (401k) wird diese Politik auf immer weniger Verständnis treffen und es im Vergleich zum letzten Wahlkampf deutlich schwerer für Trump werden, dieses Instrument zu bespielen.

Nicht zuletzt, da der Handelskrieg mit Peking die amerikanischen Unternehmer bereits stark auf die Probe gestellt hat. Wobei man hier die Geduld und Loyalität der Trump-Core-Supporter nicht unterschätzen sollte („It hurts our business but he is doing it for us“…). Auch der rally ‚round the flag effect muss im Auge behalten werden. Dieser besagt: In Krisenzeiten steigt bei der Öffentlichkeit nicht nur der Support für den amtierenden Präsidenten, sondern er kann – wenn in bestimmte, von der Innenpolitik ablenkende Bahnen geleitet – zu verstärktem Nationalismus führen. Jedoch sollte man das nicht mit aktuellen (transatlantischen) Rufen nach Verlagerung einiger kritischer Geschäftsbereiche zurück in die heimische Produktion verwechseln. Dieses kann sehr wohl eine völlig legitime Lehre aus der Corona-Pandemie sein, ist grundsätzlich eher der Resilienzforschung zuzuordnen und stellt keinen kategorischen Widerspruch zum Freihandel dar.

Die Prämisse bleibt: Europa muss sein Schicksal selbst in die Hand nehmen und selbstbewusst Handeln.

Die EU sollte hierbei nicht auf Gnade der USA hoffen, sondern statt reaktiv-defensiv in einer proaktiven Art und Weise die Agenda bestimmen. Hierzu gehört parallel zu der oben dargelegten notwendigen Annäherung im transatlantischen Handel auch das Fortsetzen des eingeschlagenen Wegs der Kommission (CETA, Mercosur, u.v.m.) in Richtung Abhängigkeitsreduktion durch Diversifizierung des Handels. Also eine Dual-Track-Strategy.

Letzteres betrifft zum einen das Agieren der EU in Bezug auf zügiges Abschließen der laufenden regionalen (z.B. ASEAN) sowie bilateralen (Australien, Neuseeland, Vietnam, etc.) Verhandlungen. Auch noch nicht vergessen: eine Einigung mit Großbritannien, da die Zollunion mit der Insel bekanntlich nur noch bis Ende 2020 gilt. Zum anderen, wenn auch weniger quicke, aber definitiv signalträchtige Wins: Durchbrüche im multilateralen Handel. Hierbei bedarf es eigenständigen Agierens von Deutschland und der EU – im Zweifel auch ohne die USA und mit anderen Partnern, wie bei dem Erhalt des Streitbeilegungssystems der WTO oder neuen G20- und Doha-Initiativen.

Und so bleibt meine Hoffnung, dass der Würfel günstig fällt und unser transatlantisches Boot nach dem Sturm in sichere Gewässer fährt. 


Mark Skudlik hat Wirtschaft in Indiana studiert und für einen deutschen Konzern in Georgia gearbeitet. Neben Peach Trees und Cornfields liegen Mark besonders die transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen am Herzen.