Transatlantic Takes lebt von offenen Debatten. Deshalb stellen wir euch in dieser zweiteiligen Artikelserie konträre Positionen zum US-amerikanischen Rückzug aus der WHO vor. In diesem ersten Teil kritisiert David Kirsch die Entscheidung der US-Administration, sich aus der WHO zurückzuziehen. In einer Gegenrede erklärt David Stellmacher, warum Donald Trumps Kritik an der WHO zutreffend ist.
Das Jahr 2020 wird mit Sicherheit als ein besonderes Jahr in die Geschichtsbücher eingehen. Vielleicht als das Jahr skurill anmutender Hand-Washing-Memes. Oder als das Jahr, indem man europaweit Begrüßungsformen einführte, die man bisher eher aus dem asiatischen Raum kannte. Oder aber als das Jahr, indem ehemalig autoritäre Innenminister urplötzlich den Schutz der Grund- und Freiheitsrechte für sich entdecken.
So manches kennen wir jedoch bereits aus den Jahren davor: Dazu zählt eine US-amerikanische Außenpolitik, die vermehrt auf unilateralen Rückzug statt multilaterales Engagement und auf Abschreckung statt Einmischung setzt: Das galt für Syrien, das gilt für die NATO und das gilt für die UNO.
Über Donald Trumps erratische Politik wurde bereits viel Lesenswertes geschrieben. Fest steht: Er misstraut internationalen Organisationen ganz grundlegend. Wie schon beim Pariser Klimaabkommen möchte er grundlegende gesellschafts-, und wirtschaftspolitische Fragen lieber national als international geregelt wissen.
Der jüngst verkündete Zahlungsstopp der US-Administration an die Weltgesundheitsorganisation WHO kommt damit wenig überraschend. Die in Genf ansässige WHO ist die wichtigste Sonderorganisation der Vereinten Nationen im Gesundheitsbereich. Ihr Budget besteht nach Angaben der Organisation zu weniger als einem Viertel aus den verpflichtenden Beiträgen der Mitgliedsstaaten.
Die USA sind – wie in vielen anderen Vereinigungen – der größte Beitragszahler: Für die Jahre 2020 und 2021 sind jeweils fast 116 Millionen Dollar (107 Millionen Euro) fällig. Chinas Beitrag für diese beiden Jahre beträgt jeweils 57 Millionen Dollar, ist in den vergangenen Jahren aber deutlich gestiegen: 2018 und 2019 lag er noch bei je 38 Millionen Dollar, während er bei den USA fast gleich bliebe.
Der chinesische Marsch durch die Instanzen
China und Corona. Zu dem Verhältnis dieser beiden Phänomene wird noch lange zu forschen sein. Ohne Zweifel hat die WHO im Umgang mit der Corona-Krise viel zu lange als Chinas Sprachrohr fungiert – und damit die weltweite Verseuchung mindestens fahrlässig vorangetrieben. Beispiel gefällig? Am 24. Januar veröffentlichte The Lancet – eine der renommiertesten Wissenschaftszeitschriften der Welt – eine wichtige Studie, die sich mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie befasst. Die Forschungsarbeit hatte ergeben, dass es zwischen einer 53-Jährigen und ihrem Mann zur Übertragung des Virus gekommen sein soll. Diese Daten lagen spätestens seit dem 2. Januar 2020 vor. Die Mensch-zu-Mensch-Übertragung war damit bereits wissenschaftlich belegt. Wenige Tage später twitterte ein offizieller WHO-Account noch davon, dass keinerlei Beweise für die menschliche Übertragung des tödlichen Virus vorhanden wären.
Preliminary investigations conducted by the Chinese authorities have found no clear evidence of human-to-human transmission of the novel #coronavirus (2019-nCoV) identified in #Wuhan, #China🇨🇳. pic.twitter.com/Fnl5P877VG
— World Health Organization (WHO) (@WHO) January 14, 2020
Wenig überraschend bezog die WHO ihre Informationen von denselben chinesischen Behörden, die ihr eigenes Volk wissentlich belogen haben. Die WHO nutzte diese Informationen wiederum, um gleich den Rest der Welt damit zu versorgen. Wie auch bei anderen multilateral ausgerichteten Organisationen hat die Informationspolitik der WHO nur den Wert, den illiberale Beitragszahler ihr beimessen. So hat Nordkorea bis zum heutigen Tage keinen einzigen Corona-Fall öffentlich gemacht. Da die WHO keine Kompetenzen zur eigenständigen Testung hat, bleibt nichts anderes übrig, als die von Peking übermittelten Informationen für bare Münze zu nehmen.
Die WHO hat sich in vielen Krisen- und Pandemiezeiten nicht mit Ruhm bekleckert. Während der Ebola-Epidemie 2014 nahm sich die WHO gleich mehrere Monate Zeit, um den gesundheitlichen Notstand auszurufen. Man wollte damals, so der ehemalige WHO-Mitarbeiter Charles Clift, afrikanische WHO-Mitglieder nicht verärgern. In anderen Fällen agierte die WHO jedoch verhältnismäßig professionell: Während des SARS-Ausbruchs 2003 kritisierte der WHO-Pressesprecher noch die chinesische Diktatur für den Mangel an Transparenz und Vorbereitung, welche zur Verbreitung von SARS beitrug. China sah sich wenig später sogar gezwungen, Verfehlungen einzuräumen. Zwischen SARS, Ebola und Corona liegen 17 Jahre – und ein chinesischer Marsch durch die Instanzen, der internationale Organisationen immer mehr zum Mouthpiece der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt verkommen lässt. So wird die U.N. Food and Agriculture Agency seit 2019 von Qu Dongyu geführt – vormals der stellvertretende Minister Chinas in dieser Angelegenheit. 2018 wurde Zhao Houlin als Secretary-General der International Telecommmunication Union installiert. Houlin begann seine Karriere im chinesischen Telekommunikationsministerium und nutzte seine spätere Position in der WHO, um für den umstrittenen chinesischen Telekommunikationsanbieter Huawei zu lobbyieren.
China blockiert nicht nur wissenschaftliche Untersuchungen zur Virusherkunft und inhaftiert Dissidenten, welche auf diese Missstände aufmerksam machen. Vielmehr scheint es China geschafft zu haben, internationale Organisationen durch geschickte Postenschacherei gefügig zu machen. Illustrativ dafür ist die Wahl von Tedros Adhanom Ghebreyesus zum WHO-Generalsekretär im Mai 2017. Nur einen Tag nach seiner Wahl traf sich Tedros auch mit Chinas Gesundheitsminister Lin Bin und versicherte seine Unterstützung für die sogenannte Ein-China-Politik, die etwa Taiwan und Hongkong als nicht eigenständig begreift. Nachdem sich die WHO den chinesischen Beschwichtigungen anfangs angeschlossen hatte, war der Äthiopier später voll des Lobes über die angeblich „totale“ Offenheit Pekings und das „exzellente“ chinesische Krisenmanagement.
Apropos Taiwan: Die österreichische Sinologin Susanne Weigelin-Schwiedrzik kritisierte jüngst dass die WHO die Warnung aus Taiwan vom 31. Dezember 2019 zur raschen Ausbreitung des Virus nicht beachtet habe. Zufall? Auf dieses Schreiben, in dem Taiwan die WHO über Fälle von außergewöhnlichen Lungenentzündungen durch ein SARS-ähnliches Virus in der chinesischen Stadt Wuhan informierte, sei, so Weigelin-Schwiedrzik „nie eingegangen worden“. Das lasse den Schluss zu, dass „eine gewisse Komplizenschaft zwischen der WHO-Führung einerseits und der chinesischen Regierung andererseits zu vermuten wäre.“
America first means China rising
Es gibt ein unumstößliches Naturgesetz in den internationalen Beziehungen. Immer dort und dann, wo und wenn ein zahlungskräftiger Akteur ein Machtvakuum entstehen lässt, wird dieses sofort von konkurrierenden Akteuren gefüllt. Ähnliches darf man in den vom wirtschaftlichen Super-GAU besonders getroffenen BRICS-Ländern, im Nahen Osten, aber auch in Afrika erwarten. Wie mein Kollege Fabian Barth richtig erkannt hat, werden viele Regionen dieser Welt – als logische Konsequenz der durch COVID-19 implementierten Maßnahmen – „sehr bald wirtschaftliche Unterstützung benötigen. Und viele Regionen dieser Welt werden in naher Zukunft Schauplatz eines Systemwettbewerbs zwischen einem Autoritarismus chinesischer Prägung und westlichem Liberalismus sein.“
Im Falle europäischer Beitragszahler wie Ungarn, Polen und Griechenland ist China mit Investitionen in Höhe von abertausenden Millionen anderen Geldgebern zuvorgekommen. Dass China versucht, medial vom intransparenten Seuchenherd zum altruistischen Schutzmaskenlieferanten zu mutieren, passt da gut ins Bild. Der Economist bringt diesen post-covid propaganda-push auf den Punkt: „China is handing out medical kit, and making sure the cameras see it.“
Ganz im Gegensatz dazu sind bei Taiwan meistens die Kameras schon aus. Obwohl Taiwan nicht nur das Corona-Virus bereits besiegt hat, bevor es sich ausbreiten konnte. Und obwohl es erst vor wenigen Tagen eine Million Schutzmasken nach Deutschland geschickt hat, wurde eine öffentliche Übergabe abgesagt. „Warum wohl?“, fragt der Tagesspiegel zurecht.
Grundlegende Reformen statt nationale Signalpolitik
So wie der UN-Sicherheitsrat in Syrien aufgrund der andauernden Vetos von China und Russland versagte, versagt nun die WHO im Zuge der Corona-Pandemie. Aus gutem Grund erklärte die deutsche Bundesregierung daher die Reform des UN-Sicherheitsrats zum „Kernanliegen der Bundesregierung, um dessen Legitimität und Autorität zu wahren. Eine Anpassung an die heutigen geopolitischen Realitäten ist notweniger Teil einer solchen Reform dieses wichtigen Gremiums der multilateralen Weltordnung.“
Was für die UNO gilt, gilt auch für ihre Teilorganisationen. Das Problem heißt nicht Multilateralismus, es heißt nationale Strategielosigkeit. So war es die Europäische Kommission, welche bereits Ende Januar die Mitgliedstaaten der Europäischen Union auf die Gefahr einer weltweiten Pandemie durch das Coronavirus hingewiesen und ihre Unterstützung angeboten hat. Jüngst veröffentlichte Dokumente aber belegen, dass die jeweils national abgeordneten Vertreter aus den Gesundheitsministerien der EU-Staaten mit dem Hinweis abgewinkt hätten, die Lage im Griff zu haben. Ohne Zweifel schlafwandelte auch Europa und wachte schließlich inmitten einer globalen Pandemie auf.
Plan beats no Plan
Anspruch und Wirklichkeit klaffen bei Trumps China-Politik weit auseinander. Während die US-Administration stets verkündet, dass sie den weltweiten chinesischen Einfluss umfassend zurückdrängen wolle, zieht sie sich gleichzeitig aus dem freien Welthandel zurück und drängt China gerade dazu, die bisherige Führungsrolle der USA zu übernehmen. So hat insbesondere die Aufkündigung des transpazifischen Freihandelsabkommens TPP durch die USA China unmittelbar gestärkt. Der deutsche Außenpolitikexperte Norbert Röttgen bringt es auf den Punkt: „Auf einen amerikanischen Rückzug wird Peking eine geostrategische Antwort geben – und das ist eine chinesische Offensive.“
Wie schon so oft ist Donald Trumps Kritik an der WHO alles andere als unberechtigt. Ganz im Gegenteil ist sie durchaus gut gemeint. Gut gemeint ist jedoch das Gegenteil von gut. Auch die syrischen Kurden, immerhin früherer US-Alliierter im Kampf gegen den Islamischen Staat, stehen nur wenige Jahre später wieder auf der russischen Payroll.
Anders als Beitragskürzungen und Delegitimierungskampagnen benötigen internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen eine strukturelle Generalüberholung. Dass mit China ausgerechnet ein Land in den UN-Menschenrechtsrat gewählt wird, das muslimische Minderheiten wie die Uiguren in Umerziehungslagern verschwinden lässt, ist absurd. Mindestens genauso absurd ist es jedoch zu glauben, mittels Beitragskürzungen und unilateraler Sanktionspolitik die Umkehr eines internationalen Trends – nämlich der Machtzunahme Chinas – bewirken zu können. Der Verdacht liegt nahe, dass Donald Trump – wie schon in Syrien – Signalpolitik betreibt und eigentlich kein Interesse an einer langfristigen strategischen Neuausrichtung gegenüber China und anderen illiberalen Systemkonkurrenten hegt. Auch dieser Rückzug wird sein eigentliches Ziel klar verfehlen.
Die Corona-Krise erinnert uns daran, dass China keinesfalls als uneingeschränkt vertrauenswürdiger Akteur in der Weltpolitik gesehen werden darf. Die für ein autoritäres Regime typische Vertuschung und Intransparenz waren ohne Zweifel mitursächlich für die rasche Ausbreitung dieser globalen Pandemie. Die Antwort auf diese Herausforderung kann nur in einer strategischen Neuausrichtung gegenüber China liegen. Die Kürzung von Finanzmitteln für internationale Organisationen jedoch kann dazu nur wenig beitragen.
Bildquelle: President Trump meets with Patients who have Recovered from COVID-19. The White House. Flickr. CC 2.0.
Ein Kommentar Gib deinen ab