Politiker müssen – genau wie jene, die sie wählen – nicht alles wissen und nicht alles können. Doch wer ein Mandat trägt, trägt auch Verantwortung. Das gilt insbesondere für den US-Präsidenten.
Es war einer dieser Momente, die einen ungläubig zurücklassen. Hat er das gerade wirklich gesagt? Die Fassungslosigkeit stand auch den Mitarbeitern der eigenen Administration ins Gesicht geschrieben. Vor laufenden Kameras hatte der Commander in Chief laut darüber nachgedacht, zur Bekämpfung des Corona-Virus Desinfektionsmittel zu spritzen.
Es erübrigt sich anzumerken, wie gefährlich das ist. Es ist müßig darauf hinzuweisen, dass ein intelligenter, nein, halbwegs vernünftiger Mensch so etwas nicht denken, geschweige denn öffentlich vorschlagen würde. Ich bin auch der Meinung, dass es kaum fruchtet, mit Präsident Trumps Mangel an Manieren und Intellekt Wahlkampf zu machen. Seine Getreuen leugnen diesen Mangel notfalls ohnehin bis zum bitteren Ende – oder winden sich derart abenteuerlich, dass sie schließlich aussehen wie eine menschliche Fusilli. Und sind wir ehrlich: Politiker sind eben Volksvertreter, keine Experten. Sie sind im Durchschnitt ungefähr so manierlich und gebildet wie wir eben auch. In einer Krise ist es trotzdem wichtig, dass Institutionen weitestgehend das Vertrauen der Menschen genießen – sonst laufen Appelle ins Leere.
Was unterscheidet den Repräsentanten vom Souverän, dem Volk? Er trägt politische Verantwortung. Und anders als die Bürgerinnen und Bürger hat sein Wort, ob wir wollen oder nicht, eine andere Tragweite. Was wir im Südwesten am Stammtisch als „Dummschwätzer“ abtun, wirkt anders, wenn eine Krawatte, Fernsehkameras und ein mit dem Siegel des Präsidenten versehenes Pult im Spiel sind. Bei fast 330 Millionen Einwohnern muss, ja muss ein US-Präsident sich darüber im Klaren sein, dass seine Worte Konsequenzen haben. Und genau das ist hier passiert.
Trump mag nur laut nachgedacht haben – manche Menschen (auch außerhalb der USA!) haben seine Bemerkungen über Desinfektionsmittel und Bleiche als Empfehlung verstanden. So verzeichnete die Giftzentrale im Bundesstaat Illinois eine „signifikante Zunahme“ von Anrufen, nachdem Menschen z.B. mit Desinfektionsmittel gurgelten. Nicht nur das eigene Gesundheitsamt, sondern auch Hersteller wie Sagrotan sehen sich fassungslos dazu gezwungen, öffentlich den Behandlungsüberlegungen des US-Präsidenten zu widersprechen. Das beschädigt leider die Wirksamkeit und den street cred brauchbarer offizieller Empfehlungen, verhindert aber hoffentlich unnötige Todesfälle. Denn vor allem Kinder schnappen gefährliche Unwahrheiten über Reinigungsmittel auf. Und auch Erwachsene kommen zu schaden. So verstarb gestern ein 68-Jähriger Amerikaner, weil er nach einer Ansprache des Präsidenten Aquarium-Reiniger trank.
I can’t believe I have to say this, but please don’t drink bleach.
— Joe Biden (@JoeBiden) April 24, 2020
Verstehen Sie mich nicht falsch: Der US-Präsident ist nicht „schuld“ am Tod dieser Menschen. Bei allem Mitgefühl für Todesfälle kann man von einem mündigen Bürger durchaus erwarten, unter keinen Umständen Reinigungsmittel zu schlucken. Dennoch kann Donald Trump sich nicht einfach aus der Verantwortung stehlen. Der vorliegende Fall zeigt, dass das Weiße Haus selbst in maximal obskuren Situationen noch das Gehör vieler Bürgerinnen und Bürger findet. Der amtierende Präsident ist nicht etwa den intellektuellen Anforderungen, sondern der Verantwortung des Amtes schlicht und ergreifend nicht gewachsen. Er weist sie sogar aktiv von sich („I don’t take responsibility at all“). Als War Time Leader sieht er einfach blass aus. Für das Wohl unser amerikanischen Freunde bleibt zu hoffen, dass er sich für seine restliche Amtszeit endlich in die Rolle eines verantwortungsvollen Staatsmannes einfindet. Nicht, weil ich ihm die Wiederwahl wünsche – sondern weil die Welt jetzt entschlossenes und beispielgebendes Handeln braucht. Und keinen Lack.
Titelbild: Mike Mozart on Flickr. CC.2.0.