Kurz nach dem Abitur im Jahr 2011 begann ich ein duales Studium bei meinem heutigen Arbeitgeber. Ich hatte dort eine Kollegin, die mit mir ein Studium anfing und während ihrer Schulzeit ein Auslandsjahr bei einer Gastfamilie in den USA verbracht hatte. Da für mich damals Reisen in die USA schlicht und ergreifend finanziell nicht möglich waren, hatten wir ein angeregtes Gespräch über ihre Erfahrungen. Ein Satz blieb mir dabei im Gedächtnis hängen, der in den letzten Tagen sich bei mir immer wieder in die Erinnerung drängt:
„In den USA konsumiert man nicht Medien, um sich zu informieren. In den USA schaut man Nachrichten, um sich in seiner Meinung zu bestärken.“
Und tatsächlich: Schaue ich mir Tomi Lahren auf Fox News an, verstehe ich die These meiner Ex-Kollegin. Sie ist ein wunderbares Beispiel dafür, dass (vor allem Fernseh-) Journalismus in Amerika erheblich aggressiver und Meinungsbetonter ist als dies in Deutschland der Fall ist. Tomi Lahren schafft es binnen einer Minute über einen der US-Staaten mit der höchsten Lebensqualität der USA mehr tendenziöse und nicht belegte Anti-Thesen auszusprechen als man dachte, dass es geben würde.
Mir ist durchaus bewusst, dass dies ein politischer Kommentar ist. Aber vergleiche ich den Stil von Lahren mit den politischen Kommentaren von beispielsweise Tina Hassel vom Westdeutschen Rundfunk (Föderalismus ist nebenbei auch ein spannender Punkt der transatlantischen Geschichte), so wird doch klar, dass auf dem Fox Network weniger Information als Meinung verbreitet wird.
Oder fassen wir zusammen: Identifiziere ich mich als Republikaner, so schaue ich Fox News, bin ich Demokrat, schaue ich MSNBC. Und wem Fox News noch zu sozialistisch ist, der findet sich alsbald auf Breitbart oder dem One America News Network wieder, wenn man sich die volle Dröhnung Trump geben möchte.
2011 mit zarten 18 Jahren fand ich das eine sehr spannende Erkenntnis und dachte mir „Gut, dass das bei uns so nicht ist.“ Man wäre in seiner Blase gefangen und würde so ziemlich kommentarlos alles glauben, da man selbst bei offensichtlichem Irrglauben aus diesem nicht herausfinden könne.
Während mir unter meinen Artikeln bei den Takes durchaus auch mal unterstellt wurde, dass ich mir nicht meine eigene Meinung bilden würde, sondern das wiedergeben würde, was die deutschen Leitmedien mich denken lassen möchten, bin ich meines Erachtens durchaus in der Lage, mir durch unseren öffentlich-rechtlichen, aber auch durch unsere sehr verantwortungsvolle private Medienlandschaft eine differenzierte Meinung zu bilden. Dafür bin ich auch sehr dankbar, bin ich als Kommunalpolitiker doch auch auf diese Medien angewiesen.
Freiheit ist nicht nur mir ein hohes Gut. Ich genieße regelmäßig die Reisefreiheit, in dem ich in ein Transportmittel steige und in einem anderen europäischen Land aussteige. Ich genieße die Arbeitnehmerfreizügigkeit in Europa und freue mich, wenn ich mit meinen Kollegen aus Spanien, Tschechien oder Polen nach Feierabend ein Bier trinken kann. Jedes Jahr gehe ich mindestens einmal für eine Sache demonstrieren. Auch diese Freiheit schätze ich sehr. Daher habe ich lange mit starker Verwunderung aufgenommen, dass in Deutschland sehr wenige Leute gegen die Einschränkungen unserer Grundrechte protestieren. Sogar die liberalen parlamentarischen Kräfte dieses Landes waren in weiten Teilen mit den Corona-Einschränkungen einverstanden. Die Amerikaner hingegen, eine Nation, welche viel stärker von libertären Kräften geprägt ist (was sich beispielsweise auch im Waffenrecht und im Gesundheitswesen zeigt), ging lautstark quasi ab der ersten Sekunde des Lockdowns gegen diese Einschränkungen auf die Barrikaden, mit Rückendeckung ihres Präsidenten, vermutlich aber auch befeuert durch die Angst vor Armut, die in den USA schneller und viel existenzieller wird, da soziale Sicherungssysteme wie eine wirksame Arbeitslosenversicherung, Kündigungsschutz und ein bezahlbares Gesundheitssystem Fehlanzeige sind.
Diese Proteste kommen in Deutschland langsam an, auch in kleineren Gemeinden im Stuttgarter Umland. Befeuert werden diese allerdings weder durch Vertreter unserer Regierung, einer völlig divers agierenden Opposition im Bundestag noch von den Vertretern klassischer Medien, sondern durch neue Internetplattformen. Oft wird die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen und die Gefahr des Viruses angezweifelt, vermengt mit Falschmeldungen wie beispielsweise der Behauptung, dass eine Impfpflicht kommen wird sowie weiteren Verschwörungstheorien. Ich habe ehrlich gesagt nicht lange darüber nachdenken müssen warum sich diese Thesen gerade jetzt so schnell verbreiten:
Unser Medienkonsum amerikanisiert sich.
Während früher die Medien konsumiert wurden, die unmittelbar verfügbar waren, nämlich die lokale Zeitung, der lokale Rundfunk oder Fernsehprogramme, welche durch Redaktionen einen gefilterten Blick auf die Welt bringen (wobei es natürlich auch immer Gesinnungspolitisch orientierte Medien gab und gibt) ist es heute möglich durch soziale Medien und das Internet ungefiltert Thesen ins Netz zu stellen.
In einer Zeit, in der sich das gesellschaftliche Leben binnen Tagen um 180° dreht, ist es mehr als verständlich, dass die Menschen anfangen zu hinterfragen, warum das alles geschieht. Mein aktueller Lieblingspodcast der Bonner Straßenunternehmer Giwar Hajabi und Ssiawosch Sadat formuliert die Frage sehr charmant: „Wer macht hier seinen Schnapp?“ Der Podcast ist ein wunderbares Beispiel dafür, welche Fragen die Menschen in Deutschland gerade beschäftigt, durch alle sozialen Schichten hindurch (und er beantwortet diese Frage nicht final, geht dabei kritisch und humorvoll mit Verschwörungstheorien um, zeigt aber Verständnis dafür, dass Menschen diese Frage stellen).
Durch die Verunsicherung, die sich breit macht, fängt man an zu recherchieren und man stößt durch die Recherche im Netz dann auch ziemlich schnell auf bereits vorhandene Verschwörungstheorien wie beispielsweise Impfgegnern (nebenbei auch ein in den USA durch einige Prominente verbreitete und dadurch sehr bekannte Falschbehauptung), 5G-Gegnern (Es wäre dennoch wünschenswert auf Grund von Fragen beim Datenschutz und der Demokratie Huawei aus der deutschen Infrastruktur herauszuhalten) oder – klassisch Verschwörungstheorie – Antisemitismus. Der „kritisch Fragende“ fühlt sich in seinem Grundgefühl auf einmal bestätigt, da man feststellt, dass man nicht der Einzige sein muss, dem das Ganze nicht koscher vorkommt und in der nächsten Sekunde teilt man ein Video von Ken Jebsen auf social media.
Das, was ich vor Jahren noch in Deutschland für nicht möglich gehalten habe, vermutlich auch durch Blauäugigkeit kurz nach der Oberstufe, dass wir uns Medien suchen um unsere Meinung zu stärken und weniger um uns zu informieren, scheint mittlerweile für weite Teile unserer Bevölkerung ein zutreffendes Verhaltensmuster zu sein. Ich behaupte nicht mal, dass dies durch die Corona-Pandemie erst entstanden ist, ich glaube, es drückt jetzt nur verstärkt durch. Dinge, die man nicht wahrhaben will, können nicht wahr sein.
Ob sich unsere Medienlandschaft in den großen Leitmedien durch diese Bewegung bald ebenfalls amerikanisieren wird – man darf gespannt bleiben. Der Tübinger Amerikanist Michael Butter, welcher zu Verschwörungstheorien forscht, zeichnet ein düsteres Bild: „Wenn Gesellschaften sich nicht mehr darauf verständigen können, was wahr ist, können sie auch die drängenden Probleme des 21. Jahrhunderts nicht meistern.“
Dass die deutsche Politik jedoch noch Maß und Mitte findet zeigt die aktuelle Debatte zum Immunitätsausweis, welche durchaus kontrovers geführt wird, und lässt darauf hoffen, dass wir schnell durch diese Krise schaffen und alle Einschränkungen unserer liebgewonnenen Freiheit schnell wieder aufgehoben werden.
Eines ist jedoch sicher: Die westliche Welt wird danach eine andere sein.
Foto: Gage Skidmore, flickr.com (https://www.flickr.com/photos/gageskidmore/44210675362)