Warum der Tod von George Floyd so viel Wut erzeugt

Der gewaltsame Tod George Floyds hat nicht nur die Vereinigten Staaten erschüttert. Auch wenn die größte Zahl der Kundgebungen friedlich bleiben: Eine beängstigende Welle an gewaltsamen Ausschreitungen und Plünderungen zog sich in der letzten Woche durch die USA. Der Grund für die Wut auf den Straßen scheint bei genauerer Betrachtung nicht allein im gewaltsamen Tod eines Afroamerikaners zu liegen, sondern in einer weitaus komplexeren Gemengelage.

Der durch die unangemessene Anwendung von Gewalt verursachte Tod von George Floyd trifft die USA zum schlechtest möglichen Zeitpunkt: Seit Jahren schwelt eine Debatte über unverhältnismäßige Gewaltanwendung seitens der Polizei, besonders gegenüber Afroamerikaner. Immer wieder werden Rufe über institutionalisierten Rassismus laut. Viele Namen und Schicksale haben sich im Verlauf der letzten Jahre tief in das Gedächtnis der amerikanischen Öffentlichkeit eingebrannt: Etwa der Name Trayvon Martin, der 2012 von einem Angehörigen einer Nachbarschaftswache erschossen wurde. Erschüttert stellte der damalige Präsident Barack Obama fest: „If I had a son he would look like Trayvon“ und mahnte an, dass Trayvons Eltern jedes Recht auf eine ernsthafte und gesamtgesellschaftliche Aufarbeitung des Falles hätten.

Es war die Geburtsstunde der Bewegung Black Lives Matter. Weitere bedeutenswerte Namen, aber nicht die einzigen, sind Michael Brown, der im Jahr 2014 von einem Polizisten erschossen wurde, und Eric Garner, der, ebenfalls 2014, an den Folgen seiner Verhaftung verstarb. Die beiden Slogans „Hands up, don’t shoot!“ und „I can’t breathe!“, die auch aktuell wieder zu hören und lesen sind, haben hier ihren Ursprung.

Dieses Mal ist vieles anders

Mittlerweile ist Black Lives Matter fest in der amerikanischen Öffentlichkeit verankert. Und zwar in vermeintlich zweierlei Hinsicht: primär von konservativer Seite scheint man Skepsis gegenüber der Bewegung zu vernehmen. Währenddessen identifizieren sich offenbar die „liberals“ und insbesondere Angehörige des linken Flügels der Demokratischen Partei mit BLM und ihren Anliegen. Soweit die Wahrnehmung. Umfragen zeigen jedoch, dass die USA auch in der aktuellen Situation weniger gespalten sind als es zunächst den Anschein hat. So weist der konservative Publizist Noah Rothman in einem Artikel für das Commentary Magazine auf mehrere Erhebungen hin, deren Ergebnisse gerade in Bezug auf systematischen Rassismus bei der Mehrzahl der Amerikaner eine grundsätzliche Einigkeit über eine strukturelle Benachteiligung von Afroamerikanern und anderen Minderheiten sehen. Auch sei die Forderung nach Reformen des Polizeibetriebes stark verbreitet. Als Antwort auf Ausschreitungen wiederum hätte eine Mehrheit aus allen politischen Lagern gar den Einsatz des Militärs zur Unterstützung der Polizei befürwortet, eine gewisse ethnische Fraktionisierung der Meinung sei in dieser speziellen Frage jedoch erkennbar.

Auch bei den bereits erwähnten Fällen von Polizeigewalt kam es vereinzelt zu Ausschreitungen, diese sind dabei jedoch lokal begrenzt geblieben. Doch dieses Mal ist vieles anders. Im Gegensatz zu den früheren Vorfällen sind es vor allem die aktuellen politischen Begleitumstände, die schwer zu wiegen scheinen: Mit Donald Trump sitzt ein Präsident im Weißen Haus, dessen Persönlichkeit das Land mehr spaltet als wohl je ein amerikanischer Staatschef vor ihm. 2012 und 2014 war es noch Barack Obama, der als Präsident vermittelnd und besänftigend wirken konnte. Heute gilt der Präsident nicht nur in Kreisen der amerikanischen Linken, in diesem Fall aber besonders der radikalen, als Staatsfeind Nummer eins. Vielen gilt Trump als ausgesprochener „white supremacist“, Quasi-Diktator, Neonazi oder Schlimmeres. Dieser Staat, den Trump seit fast vier Jahren vorsteht, ist nun sein Staat, und auch die Polizei ist nun seine Polizei.

Auch dank Corona liegen viele Nerven blank

Ein weiterer Umstand kommt hinzu, der die heutige Situation von der Früheren unterscheidet: die Corona-Pandemie. Mit einer Zahl von mehr als 2 Millionen Infizierten sind die USA mit großem Abstand der am stärksten betroffene Staat, auch und insbesondere ökonomisch. Auch hier spaltet der Präsident die öffentliche Meinung. Hat er zu spät, zu lasch oder grundfalsch reagiert, wie einige meinen? Ende Januar, als die Pandemie sich bereits abzuzeichnen begann, hatte er noch keinen Anlass zu handeln gesehen, nur um einige Wochen später harte Maßnahmen in Form von Einreise – und Einwanderungsbeschränkungen zu verhängen. Als die ersten Staaten Ausgangsbeschränkungen einführten, vollzog er eine neue Wende: Trump positionierte sich eindeutig auf der Seite der nun aufkeimenden Proteste gegen den Lockdown. Sehr viel schwerer als der schnell wechselnde Kurs des Präsidenten, der wohl auch der unbekannten Gesamtsituation geschuldet war, werden allerdings die ökonomischen Konsequenzen der Coronakrise wirken: Von Februar bis Mai meldeten sich mehr als 40 Millionen Menschen in den USA neu arbeitslos. Die Arbeitslosenquote stieg zwischenzeitlich um mehr als zehn Prozentpunkte von 4,4 % Anfang März 2020 auf beinahe 15% bis Anfang Mai an. Allmählich deutet sich nur eine langsame Entspannung an, entgegen den Befürchtungen vieler Experten sank die Quote im Verlauf des Mai auf 13,3%, bleibt so dennoch sehr hoch. Den stärksten Einfluss spürten dabei Minderheiten und Geringverdiener, 40% der Arbeiter im Niedriglohnsektor verloren seit März ihren Job, die Arbeitslosenquote der Hispanics liegt bei 16,7%, die der Afroamerikaner gar bei 18,9%. Dieser sprunghafte Anstieg zieht für viele eine Zeit der plötzlichen Perspektivlosigkeit nach sich, eine Zeit, in der ein polarisierender Präsident den Hass vieler auf sich zu vereinigen droht.

George Floyd war ein Katalysator diverser Spannungsfelder

Ausgerechnet unter Trump, demjenigen, den viele sowieso als Rassisten und als den Feind schlechthin betrachten, verlieren viele aufgrund der aktuellen Krise in atemberaubender Geschwindigkeit ihre Lebensgrundlage, besonders unter den Minderheiten. Für sich allein genommen kann dies schon eine explosive Mischung darstellen. Insofern gab es kaum einen ungünstigeren Zeitpunkt für einen neuerlichen Fall unangemessener, letztlich rassistischer Gewalt durch martialisch auftretende Staatsorgane. Dass die Reaktionen auf den gewaltsamen Tod George Floyds so heftig ausfielen, liegt auch in der Geschichte der Polizeigewalt gegenüber Minderheiten in den USA. Jedoch nicht nur. Angesichts der allgemeinen Umstände war sein Tod vielleicht auch nur ein Auslöser, unter dem dann sich ein ganzes Konglomerat an sozialen Spannungen entzündete.

Besonders brisant ist die gesamte Entwicklung auch in Hinblick auf die anstehende Präsidentschaftswahl im November. Längst ist auch ein Kampf um die Köpfe entbrannt. Dabei stellen sich viele Fragen: Wie stark schadet die aktuelle Situation Donald Trump? Schafft Joe Biden es gar sich als Kandidat der Demonstrierenden zu positionieren?

Wie es weitergeht, ist kaum zu sagen, weder kurz-, noch mittel- oder langfristig. Zunächst bleibt nur zu hoffen, dass die gewalttätigen Ausschreitungen weiter abebben, die Proteste gehört und so der Weg frei wird für eine tatsächliche Aufarbeitung.


Titelbild: Pexels. Kelly Lacy. CC 2.0.

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