Joseph, das war nichts!

Wie viele andere hunderttausende Menschen habe ich gestern bis tief in die Nacht die erste Ausgabe der US-Debates verfolgt. Als ich heute Mittag wieder erwachte, war meine Timeline voller Kommentare, die Joe Biden zum eindeutigen Sieger erklärten. Das erschrak mich fast noch mehr als das Niveau der gestrigen Debatte. Here is Why.


Fangen wir mit der guten Nachricht an: Joe Biden hat gestern Nacht nicht alles falsch gemacht. Er hat vermutlich kurz vor dem Beginn zwei doppelte Espresso getrunken und war dadurch etwas aufgekratzter als sonst. Für einen Punktesieg reichte das aber noch lange nicht. Er wirkte alt, gebrechlich, überfordert. Geradezu überrumpelt von der Niveaulosigkeit und Bösartigkeit seines republikanischen Konkurrenten. Ein Konkurrent, der schon 2016 gegen Hillary Clinton alles daran setzte, die Diskussionskultur in den Duellen zu zerstören und jeden Diskurs, der auf Sachlichkeit und Moral setzt, zu verunmöglichen. Und genau das hat er auch letzte Nacht gemacht. Erfolgreich. Schon wieder.

Das erste ‚D‘ in Donald steht für Disruption

Ohne Zweifel war das Debattenspektakel eine Shitshow. Durch seine wiederkehrenden Unterbrechungen sorgte Trump für Disruption und konnte sich als kämpferischer Herausforderer präsentieren. Und das, obwohl er gerade im Amt ist. Verrückt, oder? Ein Herausforderer, der gegen den Strich agiert und gegen das Establishment schießt. Das Establishment? Das verkörpert kaum jemand besser als Joe Biden, der – so Trump – in den letzten 47 Jahren weniger erreicht haben soll, als der US-Präsident in den letzten 47 Monaten. Das sind üble Punchlines – aber griffiger als alles, was Joe Biden anbieten konnte. Joe Biden stotterte, las auswendig gelernte Phrasen aus seinem lückenhaften Gedächtnis vor und verhaspelte sich mehrmals. Er wirkte wie der ungeschickte Stiefvater von Hillary Clinton.

Apropos Hillary: Wie schon vier Jahre zuvor im Duell mit Hillary Clinton, agierte Trump hochgradig bösartig, untergriffig und brutal – und brachte auch erneut seinen Herausforderer so weit, dass er (oder sie) immer wieder nur hämisch lachen und grinsen konnte. Keine Ahnung, wie das auf potentielle Sympathisanten wirken könnte. Auf mich wirkte das jedenfalls hilflos bis abgehoben.

Ab und zu sagte Biden dann wieder mal etwas Stichhaltiges. Biden nannte Trump abwechselnd einen Clown, einen Lügner und einen Rassisten. Moralische Überlegenheit gegenüber Donald Trump zu simulieren, das ist weder besonders originell, noch besonders zielführend. Vor allem nicht, wenn man Joe Biden heißt.

Trump wies völlig zurecht darauf hin, dass – wie schon seine Vorgängerin Hillary Clinton – auch Joe Biden keine besonders zimperlichen Worte gegenüber African Americans verwendet hatte: Stichwort (Super-)Predators. Nach heutiger Sicht müsste Joe Biden sein eigenes, 1994 verabschiedetes Gesetz, das nachweislich in exzessiver Art und Weise zur Masseninhaftierung von African Americans führte, wohl als „Racist“ brandmarken. Darauf wies Trump hin – und drehte damit den Spieß erneut um. Schnell gerat in Vergessenheit, dass Trump sich erneut geweigert hatte, rassistische Bewegungen zu verurteilen. Denn am Ende hatte es Trump schlichtweg geschafft, die moralische Überlegenheit seines Konkurrenten zu diskreditieren. Joe Biden galt nicht mehr als glaubwürdigere Alternative zu Donald Trump. Punktsieg für Letzteren.

Das zweite ‚D‘ in Donald steht für Demobilisierung

Auch in anderen Bereichen konnte Biden nur wenig glänzen. Trump konnte glaubhaft vermitteln, dass die Corona-Pandemie am Untergang der Wirtschaft schuld sei – und nicht er selbst. Auch gelang es ihm, das Recht zu reklamieren, den Richterposten neu zu besetzen. Auch das konnte Biden nicht entkräften. Biden wirkte zwar höflicher und weniger rüpelhaft.
Aber hat das Hillary Clinton besonders viel gebracht?

So verrückt es klingt: Donald Trump steht für Kontinuität und Authentizität. Joe Biden wirkt dagegen wie ein Flip-Flopper. Mal ist Joe Biden für den Green New Deal – und dann wieder nicht. Mal wähnt er sich auf der Seite der peaceful protestors – und dann schafft er es nicht einmal, gewalttätige Demonstranten beim Namen zu nennen.

Biden mag die Fakten auf seiner Seite gehabt haben. Aber die Emotion konnte ausschließlich Trump für sich verbuchen. Wenn Biden nichts mehr übrig blieb, mit seinem Kopf zu schütteln, wurde Trump erst so richtig warm. Ganz so, als würde er es so richtig genießen. Vornehme Höflichkeit gegen Durchsetzungsfähigkeit und Dominanz. Donald Trump hat aus psychologischer Sicht mit seinem Herausforderer den Boden aufgewischt. Biden wirkte am Ende erniedrigt und erschöpft. Trump hingegen hätte locker noch ein paar Runden durchgehalten. Und das, obwohl nur drei Jahre Unterschied zwischen den beiden Kandidaten liegen.

Gewiss wird dieses erste Duell nicht dazu führen, dass massenhaft Biden-Wähler zu Trump überlaufen. Aber es könnte dazu führen, dass unentschiedene Wähler Trump wählen.
Mit der Ernennung der konservativen Richterin Barrett für den Supreme Court kann Trump die Evangelikalen und die Konservativen ins Boot holen. Die Far-Right hat Trump mit seinem äußerst bedenklichen Spruch erneut ins Boot geholt. Biden-Wähler könnten aufgrund der mangelhaftigen Glaubwürdigkeit und Durchsetzungsfähigkeit des Kandidaten zu Hause bleiben. Wie schon 2016.


Titelbild: Gage Skidmore. CC 2.0.

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