Die weltweit grassierende Corona-Pandemie stellt vielen von uns das Leben auf den Kopf. Gleichzeitig bietet sie auch für uns alle mehr Zeit, alte Gewohnheiten wiederaufzunehmen, das Bücherregal zu entstauben und neue Bücher aufzuschlagen. Doch es gibt so viele Bücher auf dem Markt, dass man gar nicht mehr weiß, mit welchen man anfangen soll. Um euch Transatlantiker*innen die Qual der Wahl etwas zu erleichtern, werde ich euch im Rahmen dieser Reihe monatliche Anregungen für euren nächsten Bücherkauf geben.
Beginnen möchte ich mit dem 2018 von Tagesthemen-Moderator Ingo Zamperoni erschienen Buch: „Anderland: Die USA unter Trump – ein Schadensbericht“. Dieses Buch ist im Ullstein Verlag erschienen und kann dort oder in jedem Buchhandel käuflich erworben werden. In seinem Buch beleuchtet der langjährig in den USA lebende ARD-Auslandskorrespondent Zamperoni, die amerikanische Gesellschaft aus unterschiedlichen Perspektiven. Der Ausgangspunkt für sein Buch ist die unerwartete Wahl des politischen Außenseiters Donald J. Trump zum US-Präsidenten im Jahr 2016. Die Wahl von Trump scheint eine Zäsur in der amerikanischen Geschichte zu sein, die viele amerikanische Bürger*innen und die internationale Gemeinschaft als Rückschritt empfinden. Vor allem wir Deutschen reagierten mit Ungläubigkeit und Entsetzen über das Wahlergebnis im November 2016. Zamperoni nimmt uns in seinem Buch mit auf eine Reise quer durch Amerika, auf der er mit verschiedensten Menschen ins Gespräch kommt. Er zeichnet ein Bild von einer zutiefst gespaltenen amerikanischen Gesellschaft, die in mancher Hinsicht nicht unterschiedlicher sein könnte. Vor allem im mittleren Amerika leben viele vornehmlich weiße Bürger*innen, die sich abgehängt fühlen. Ihre Städte haben eine schlecht funktionierende Infrastruktur, sie haben wenig berufliche Perspektiven und leiden unter dem Industriewandel in ihren Staaten. Es sind in erster Linie diese amerikanischen Bürger*innen die Trump 2016 ins Amt gewählt haben.
Zamperonis Buch ist nicht nur interessant, sondern auch brandaktuell
Zamperoni gelingt es in seinem Buch die Ängste und Sorgen dieser Menschen darzustellen und deren Beweggründe für die Wahl Trumps nachvollziehbar wiederzugeben. Diese Menschen sind frustriert und enttäuscht über die Politik der letzten Jahrzehnte, die sie persönlich nicht weitergebracht hat. Sie erhoffen sich mit Donald Trump nun einen Präsidenten, der ihnen wieder eine Stimme gibt und sie mehr beachtet. Laut Zamperoni hat Trump es geschafft, diesen Menschen eine neue Perspektive zu geben. Diejenigen die Trump im Jahr 2016 gewählt haben sind mehr als zufrieden mit seiner Politik, denn die Wirtschaft in den abgehängten Kleinstädten würde sich erstmals wieder weiterentwickeln. Außerdem besucht Zamperoni Bürger*innen in El Paso, der texanischen Grenzstadt zu Mexiko. Diese Menschen hat Trump mit seinem Wahlversprechen eines Mauerbaus von sich überzeugen können. Sie würden sich einen Präsidenten wünschen, der ihre Angst vor der zunehmenden illegalen Einwanderung aus Lateinamerika ernst nimmt und auch mit Gesetzen versucht einzudämmen. Unter Trump wurde der Grenzschutz verstärkt, die versprochene Mauer wurde zwar nicht gebaut, aber die Bürger*innen sind doch zufrieden mit seiner Politik. Zamperoni zeigt auch, dass Amerika mehr als die offenen, liberalen Küstenstädte ist und erklärt, wie die Wahl Trumps möglich war. Er kritisiert die Mediendarstellung Trumps, die zu emotional gestaltet sei und ihm dadurch eine viel größere Bühne geben würde, als er eigentlich verdient hätte. Aber gleichzeitig beschreibt er auch eine Gratwanderung, denn eine sachliche Berichterstattung über Trump würde dafür sorgen, dass seine „rüpelhafte“ Art akzeptiert wird und zur neuen Normalität werden könnte.
Zwar wurde das Buch vor der jüngsten US-Präsidentschaftswahl geschrieben, aber dennoch ist es in meinen Augen aktueller denn je. Schon 2018 warnte Zamperoni davor, dass Trump sich bei einer möglichen Wahlniederlage nicht an die demokratischen Spielregeln der amerikanischen Demokratie halten könnte. Genau dies ist nun eingetreten: Trump polarisiert weiter und propagiert angeblichen Wahlbetrug. Er gesteht seine Niederlage gegen Joe Biden bis dato nicht ein und verzögert einen friedlichen Machttransfer. In den letzten vier Jahren konnten wir die wehrhafte Demokratie der USA aus der Ferne beobachten. Immer wieder wurde der Präsident durch das funktionierte Checks und Balances System in seine Schranken gewiesen und konnte dadurch nicht so viel Schaden verursachen, wie anfänglich befürchtet wurde. Gleichzeitig entflammte unter Trump eine große Widerstandsbewegung. Durch seine polarisierende Art sind viele Bürger*innen aufgewacht, haben sich organisiert und sind gegen seine Vorhaben laut auf die Straße gegangen. Zamperoni beschreibt, dass im ersten Amtsjahr von Donald Trump 8700 Demonstrationen in den Staaten stattfanden, wovon etwa Drei Viertel gegen Trump und seine Politik gerichtet war. In gewisser Weise sorgte Trump also für ein größeres politisches Engagement in der breiten Gesellschaft, was sich nun auch an der historisch hohen Wahlbeteiligung bei dieser Präsidentschaftswahl erkennen lässt. Außerdem hat Trump laut Zamperoni dazu beigetragen, dass Deutschland und Europa „längst überfällige Hausaufgaben“ angepackt haben und sich sicherheits-, wirtschafts- und gesellschaftspolitisch neuorientieren.
Letztlich zeigt dieses Buch, dass Trump nur ein Symptom der tiefen Spaltung der amerikanischen Gesellschaft ist – und nicht die Ursache dafür. Er hat lediglich dazu beigetragen, dass die tiefen Risse besser sichtbar sind. In den Jahren der Präsidentschaft wurde sich womöglich zu sehr auf die Person Trump konzentriert, anstatt zu versuchen die Nation wieder zu einen. Dieses Buch macht deutlich, dass unter dem neuen president-elect Joe Biden Amerikas größte Herausforderung sein wird, die amerikanische Gesellschaft wieder zu einen und sich in Zukunft mehr auf Gemeinsamkeiten zu konzentrieren, anstatt Unterschiede zu vergrößern. Dieses lesenswerte, informative Buch trägt dazu bei, den eigenen Blickwinkel auf Amerika zu ändern und die Dynamiken vor Ort besser zu verstehen.
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